Handfeuerwaffen besitze ich keine, an den Niagarafällen war ich allerdings schon. Also, warum nicht wieder hin? Oft verweilte ich noch nicht an Alessandro Bariccos Seite, wenn ich aber an seiner Seite verweilte, dann intensiv. „TORNATE – O MORIRÒ…“ – Arndt hat mich an „Seide„ herangeführt und ich folgte auch seinen Rufen und zog die „Smith & Wesson„.
Baricco hat schon einmal gezeigt, dass er sich vor allem in schmalen Büchern sprachlich und inhaltlich verausgaben kann. Also setzte ich voraus, dass er mich mit über 100 Seiten ebenfalls fesseln und begeistern wird. Schnell wird klar, dass hinter dem Titelnamen keine Firma steckt, sondern zwei Menschen. Einer trägt den Nachnamen Smith, der andere trägt den Nachnamen Wesson. Beide können einander kaum glauben und einigen sich darauf, sich bei dem Vornamen zu nennen. Diese sind allerdings Tom und Jerry.
Bei uns Lesern ist also nach 20 Seiten das Grinsen schon im Gesicht verankert und die leise Vorahnung, wie es wohl weiter geht, scheint lauter zu werden. Zu den zwei recht sonderbaren Figuren, gesellt sich eine weibliche, namens Rachel, dazu. Dabei wollte Wesson doch eigentlich nur in Ruhe im Bett liegen und seine inneren Organe mit Bohnenpüree wieder in Ordnung bringen. Erst hindert ihn der oberkluge Meteorologe Smith daran, nun kommt auch noch die dreiundzwanzig Jahre alte, von zu Hause weggelaufene und erfolgslose Neu-Journalistin daher.
Vorhang auf
Das schmale Buch beginnt nicht nur wie ein bühnenreifes Theaterstück, sondern sieht auch optisch so aus. Das Schriftbild präsentiert ein Bühnenstück, wie auf nachfolgendem Bild zu erkennen ist. Man nehme sich zwei weitere Leser und schon kann man selbst die Szenen nachstellen. Anfangs war ich skeptisch, ob ich mich mit dieser Form anfreunden kann. Es hat aber nicht lange gebraucht und schon hatte ich drei Stimmen im Kopf und das lesende Schauspiel konnte beginnen.
Alessandro Baricco ist und bleibt ein schreibender Meister und er probiert sich gern neu aus, was ihm erneut gelungen ist. Einen Baricco hinterfragt man an dieser Stelle wohl kaum, man liest ihn, man genießt ihn.
Seine gescheiterten Charaktere tanzen nun an den Niagarafällen entlang, um eine Stelle zu suchen, die das Unmögliche wahr machen soll. Eine Stelle die in die Geschichte eingehen und ihre Namen in die Welt hinaus tragen soll. Drei graue Menschen sollen bunt werden…
„21. Juni 1902, morgen. Im kristallklaren Licht eines strahlenden Sonnentages wird Rachel Green, dreiundzwanzig Jahre alt, der erste Mensch auf der Welt sein, der die Niagarafälle in einem leeren und leidlich neuen Bierfass hinabstürzen wird. Fortan wird niemand ihren Namen je wieder vergessen können.“ (Seite 93)
Wird dieses Unterfangen von Erfolg gekrönt sein? Kann Rachel endlich mit der Geschichte ihres Lebens Karriere schreiben? Ändern sich die drei Leben oder muss das Scheitern akzeptiert werden?
All diese Fragen beantwortet Baricco auf seine Art. Und am Ende stellen wir Leser fest, dass sich kleine Bühnenstücke genauso sehr in unserem Herz verankern können, wie die großen Romane mit tausenden von Seiten. Es braucht eben nur die richtigen Worte, außergewöhnliche Charaktere die auf den ersten Blick nicht greifbar erscheinen und kleine Wasserspritzer voller Liebe, Freundschaft, Zusammenhalt und auch Mut, das Unmögliche zu wagen.
Passt auf euch auf, wenn ihr an den Niagarafällen seid. Es geht tief runter und doch ist der Blick einmalig, regelrecht gigantisch und kraftvoll.
Eure
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Das Ende des Romans nehme ich sinnbildlich für dich mit auf die Buchmesse. Ein Zeichen dazu wirst du bald erhalten. Manches Bühnenstück verankert sich im Leben.
Ja – nimm mich mit. Du hast mich ja dabei, spüre ich. Freue mich.