Länger als sonst ist nicht für immer ~ Pia Ziefle

„Länger als sonst ist nicht für immer“ – ist das nicht ein wundervoller Titel? Das Cover ist sehr gediegen und der Roman an sich ist nicht zum schnellen Weglesen gedacht, sondern zum Nachdenken, zum Entschleunigen. Literarisch und anspruchsvoll, dennoch mit Charakteren die sich im Leserherz tief einnisten. Ich wusste nach der Hälfte des Romans immer noch nicht, ob ich mit Pia Ziefles Worten klarkomme. Jetzt – 282 Seiten später bin ich überzeugt und rein theoretisch müsste ich ihn jetzt noch einmal lesen.

Hattest du eine gute Kindheit? Kennst du deine Wurzeln, deine Heimat? Ich darf zum Glück!? alle Fragen mit JA beantworten und muss mich auf keine Suche begeben. Ganz anders geht es den Charakteren Lew, Ira und Fido. Die drei sind allerdings ein ganzes Stück älter als ich – der Sommer 1976 hat ihre Leben verändert, wobei Ira in diesem Sommer erst geboren wurde und von ihrer Mutter zu wenig und vom Vater zu viel Liebe erfuhr…

Länger als sonst ist nicht für immer

In Pia Ziefles Roman treffen wir zuerst auf Lew Bergmann. Er kam im Sommer 76 zusammen mit seinem Bruder Manuel in eine Pflegefamilie. Das erfahren wir im Laufe des Romans. Als wir ihn zum ersten Mal treffen, sind wir mit ihm in Indien und suchen seinen Vater. Seit 29 Jahren hat er ihn nicht mehr gesehen. Sein schlimmstes Kindheitserlebnis war es, früh aufzuwachen und festzustellen, dass seine Eltern weg sind. Sie haben ihre Kinder einfach zurückgelassen – Republikflucht.

Fino ist Iras Freund. Er ist im besagtem Sommer mit seinem Großvater aus Jugoslawien gekommen, um seine Mutter in Deutschland zu suchen.

3 suchende Kinder deren Eltern ihre Leben in bestimmte Richtungen lenkten und mit ihrem Verhalten stark beeinflussten…

Länger als sonst ist nicht für immer ~ Pia Ziefle

 Pia Ziefle schreibt verdammt nah und einfühlsam. Sie hat einen schönen, aber auch tieftraurigen und ruhigen Roman geschrieben. Erst nach der letzten Seiten ist die Wucht ihrer Worte so richtig aufgeblüht. Das was ich mit Ira, Fido und Lew erlebte, muss ich erstmal sacken lassen und verarbeiten. Die Intensität des Romans entfaltet sich von Seite zu Seite mehr.

Lebenszopf

Den Erzählstil der Autorin kann ich kaum in Worte fassen. Sie schreibt in vielen kurzen Absätzen, in denen sie gern von der Gegenwart in die Vergangenheit springt und von dort wichtige Informationen holt, um die Gegenwart glasklar aufzuzeigen. So erschließt sich uns Lesern nach und nach, was wirklich in den drei Leben passiert ist. Welche Rückschläge die Charaktere hinnehmen mussten, warum manche eingeschlagene Lebenswege in Sackgassen mündeten und vor allem wieso die drei ganz unterschiedlichen  Menschen miteinander verbunden sind, wird wie ein Teppich aufgerollt.

„Du musst immer in genau dieser einen Minute leben, die dein Herz braucht, um das Blut in deinem Körper einmal im Kreis herumzupumpen, kleine Ira, vergiss das nicht“ … „“Das Blut braucht keineswegs exakt eine Minute“, antwortete sie, als sie älter wurde und zu ahnen begann, dass Tadijas Sätze manchmal an Orten geboren wurden, die aus Wünschen gebaut waren und Sehnsucht.“ (Seite 16)

Pia Ziefles Schreibe muss man sich komplett hingeben. Nur so kann man die Verflechtungen tief verinnerlichen, die Lebenszöpfe entflechten. Ein ruhiger, schöner, aber auch bitterer Roman, über den man unweigerlich noch eine ganze Zeit lang nachdenkt.

Eure
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