Der Aufziehvogel steht hier bestimmt schon seit zehn Jahren im Regal. Da gab es mal eine Phase, in der ich dachte, ich müsste ein paar Murakamis besitzen und so sammelte ich mir nach und nach einige Romane von den Mängelexemplartischen. Kennst du das auch (noch)? Die Phase ist bei mir schon lange her und inzwischen muss ich echt drüber schmunzeln. Jedenfalls ist auch der „Mister Aufziehvogel“ (btb) über den ME-Tisch zu mir gekommen und hat seitdem seine Seitenfarbe von weiß in gelb geändert. Ups…
Das erste Zoom-Meeting mit Bloggerin Frau Tyll gab den Anstoß, zum Murakami-Wälzer zu greifen. Als Jule mir erzählte, dass sie gerade „Die Chroniken des Aufziehvogels“ (Dumont) liest, bekam ich Lust auf ein sogenanntes #buddyread und das wurde richtig spannend, was vor allem an den zwei unterschiedlichen Ausgaben lag. Meine angegilbte von btb aus dem Jahr 2000 und Jule ihre nagelneue Ausgabe aus dem Jahr 2020 von Dumont. Bedeutet: 764 Seiten aus dem Englischen von Giovanni Bandini und Ditte Bandini übersetzt, treffen auf 1008 Seiten Neuübersetzung von Ursula Gräfe aus dem Japanischen.
Mister Aufziehvogel
Die ersten Seiten habe ich tatsächlich sehr schnell gelesen, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob mir der 30-jährige Protagonist Toru Okada sympathisch ist oder nicht. Irgendwie kam er mir ziemlich altbacken vor und ich merkte schnell, dass mir die Charaktere um ihn herum auf jeden Fall näher standen. Toru Okada hat seinen Job in einer Anwaltskanzlei in Tokio aufgegeben und seine Frau akzeptiert seine Entscheidung. Sie steht hinter ihm und lässt ihm seine Freiheit, seine Auszeit daheim, bis er sich über seinen Job-Neuanfang im Klaren ist. Er kommt in seiner Rolle als Hausmann an, wartet auf seine Frau Kumiko mit dem fertigen Essen und er ist nicht böse über die gewonnene Zeit für sich. Allerdings ist der Kater verschwunden und seine Aufgabe ist es, ihn zu finden.
Kumiko ist der Kater heilig, ein wichtiges Bindeglied und sein Verschwinden ist kein gutes Zeichen für ihre Ehe. Und plötzlich verschwindet auch Kumiko selbst aus seinem Leben, ohne Vorwarnung, ohne einen Grund, ohne ein Zeichen zu hinterlassen.
Toru Okada ~ Aufziehvogel
Toru Okada ist verwirrt, gleichzeitig verschärft er seine Suche und wir Leser:innen machen uns mit auf die Suche und genießen die Spannung, die mit sehr vielen skurrilen Momenten Hand in Hand geht. Okada trifft auf die junge Schülerin May, die mir direkt ans Herz wächst und wohl am längsten in Erinnerung bleiben wird. Sie tauft Toru Okada um, aus ihm wird der Aufziehvogel und mit ihr kommt Schwung in sein Leben. Sie bleibt allerdings nicht die einzige weibliche Person, denn er bekommt merkwürdige Telefonanrufe, wird nachts von erotischen Träumen heimgesucht und beginnt letztendlich in einen Brunnen hinab zu steigen und nachzudenken. Intrigen und Verlockungen beginnen sich abzuwechseln und ich wischte mir immer wieder die Augen und fragte mich, ob ich richtig gelesen und richtig verstanden habe.
Was für ein spezieller Roman über einen Mann, dem erst der Kater und dann die Frau weglaufen. Den nicht nur erotische Wellen überrollen, sondern auch Geschichten über den Krieg und über das alltägliche Leben mit seinen Licht- und Schattenseiten. Grausamkeit und Erotik wechseln sich ab, es gibt Briefe, Chatverläufe und viele Geheimnisse und Momente, die sich nicht sofort lüften und verstehen lassen. Abgefahren, skurril und nicht immer einordbar. Murakami ist wirklich speziell.
Murakami ~ skurril und speziell
Nach den ersten Seiten stellte ich mir die Frage, warum ich nicht schon viel eher und vor allem viel mehr von Murakami gelesen habe. 2016 habe ich „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki„ gelesen und sogar ein Interview nach dem Buddyread mit Julia geführt. Das hat großen Spaß gemacht und nun 2021 – was sagt der Aufziehvogel, überzeugt er?
Murakami ist einfach total skurril und ich glaube, man liebt ihn als Romanautor oder eben nicht. Was ich mache, weiß ich noch nicht genau, auf jeden Fall werde ich noch einen Roman von ihm lesen. Da bin ich sicher. Den Inhalt verdaue ich noch und ich bin wirklich froh, dass ich mich mit Frau Tyll so intensiv über einige Szenen ausgetauscht habe.
btb vs. Dumont
Vor allem war auch das Vergleichen der Bücher sehr aufschlussreich. In meiner alten Ausgabe, die aus dem Englischen übersetzt ist, heißt der Kater am Ende Oktopus, in Frau Tylls Werk Makrele und das Selbstmörderhaus heißt die Galgenvilla. Spannend, was so eine Übersetzung ausmachen kann und von daher rate ich, zu einem Roman aus dem Hause Dumont zu greifen, da diese direkt aus dem Japanischen übersetzt sind. Oder eben gleich auf japanisch lesen. 😉
Handlungstechnisch wurde wohl kaum gekürzt, wie unsere Vergleiche uns zeigten. Die Sätze in der btb-Taschenbuchausgabe sind aber viel kürzer und unausgeschmückter. Wer es also originaler und hochwertiger mag, sollte sich für den 1008-Seiten Wälzer entscheiden 😉
Haruki Murakami hat mich ganz schön gefordert, verwirrt, unterhalten, neugierig gemacht und stellenweise gelangweilt. Dank ihm weiß ich nun, wie es ist, in einem Brunnen zu sitzen. Ein echter Brocken Skurrilität.
Welche Murakamis hast du schon gelesen und welche hast du sogar noch ungelesen im Regal?
Ich habe nur ein einziges Buch von Murakami: Kafka am Strand.Aber ich habe es bisher nicht gelesen.
Hey Pasadena, der steht hier mal ausnahmsweise nicht, haha. Wäre gut, wenn du ihn liest und mir sagst, ob ich den brauche 🙂
Meld dich gerne und Danke für deinen Kommentar. Bini
Dann weiß ich ja, was ich als nächstes lesen werde 🙂
aktuell lese ich „Schloss Gripsholm“ von Kurt Tucholsky, komme nur schwer voran, irgendwie ist es nicht so meins (denke ich aber bei vielen Klassikern, bei „Ulysses“ von james Joyce habe ich sogar resigniert)
Hey klasse, da bin ich gut gespannt. Ohja, ja, ich kann mich an Schloss Gripsholm erinnern. Das Buch habe ich damals glaube sogar von einem ME-Tisch und dachte: dass musst du lesen, wichtige klassische Lektüre und dann dacht ich so: mäh…wie zäh…und ich kam auch echt langsam voran. Nunja…du rufst die Erinnerung hervor. Weggegeben habe ich es trotzdem nicht. Klassiker eben. Haha.
Hallo nochmals,
ich habe „Kafka am Strand“ inzwischen ausgelesen und eine Kurzrezension dazu verfasst, auf meinem Blog.
dachte, das interessiert dich vielleicht.
LG aus Wuppertal!
Super, duper, liebe Ariane. Ich bin direkt bei dir gewesen und nun noch neugieriger aufs Buch. Liebe Grüße – Bini