Two boys…
„IHR KÖNNT NICHT WISSEN, wie es jetzt für uns ist – da werdet ihr immer einen Schritt hinterher sein. Seid dankbar dafür. Ihr könnt nicht wissen, wie es damals für uns war – da werdet ihr immer einen Schritt voraus sein. Seid dankbar, auch dafür. Glaubt uns: Vergangenheit und Zukunft lassen sich so gut wie perfekt ausbalancieren. Wir werden zur fernen Vergangenheit, ihr zu einer Zukunft, die sich nur wenige von uns hätten vorstellen können.“ (Seite 7)
Diese Zeilen sind die ersten Zeilen aus dem neuen Roman von Autor David Levithan. Richtig – der Autor von „Letztendlich sind wir dem Universum egal„, der Autor der mich damals mehr als begeistert hat. Das ich seinen nächsten Roman lesen muss, stand außer Frage. „Two Boys Kissing – Jede Sekunde zählt“ (Fischer KJB) von David Levithan beginnt etwas merkwürdig, zugegebenermaßen, aber vor allem sehr direkt.
ICH fühle mich angesprochen, gemeinsam mit allen anderen Lesern, die diese ersten Zeilen lesen werden. WIR sitzen zwei Menschen gegenüber, die alles und jeder sein können, die uns fortan sagen, wie sie über uns denken, wie wir gedachte haben, wie wir vielleicht denken sollen. Klingt merkwürdig und unverständlich?
Ist es aber nicht, denn genau dieses WIR, was unserem WIR gegenüber sitzt und erzählt, bringt uns zu den zwei Hauptprotagonisten Craig und Harry.
„Die Liebe tut so weh, wie kann man sie jemandem wünschen? Die Liebe ist so grundlegend, wie kann man ihr im Wege stehen? (Seite 18)
Dauerkuss
Craig und Harry wollen einen neuen Weltrekord erzielen und zwar im Küssen. 32 Stunden, 12 Minuten und 10 Sekunden lang, soll der Kuss dauern und natürlich muss er ohne eine einzige Unterbrechung sein. Klingt verdammt lang. Aber wenn man sich liebt, könnte man es schaffen.
Ähm – Craig und Harry sind nicht mehr zusammen, sie sind Ex-Freunde und trotzdem wollen Sie das Experiment gemeinsam wagen. Denn der Kuss ist ein gewagtes Outing vor vielen Menschen und nicht alle Menschen sind der Homosexualität gegenüber loyal eingestellt. Sie wollen ein küssendes Zeichen setzen, sie wollen Mut machen und sie wollen natürlich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ja, wir sind zwei Jungs, zwei Männer und wir küssen uns und wir können und dürfen das.
„Aufrichtig zueinander zu sein ist kein Geschenk, das in Einwickelpapier daherkommt – aufreißen und fertig. Nein, es ist ein Geschenk, das sich entfalten muss. Mit dem Reden anzufangen ist genug. Es reicht, einen Anfang gemacht zu haben und zu spüren, dass es ein Anfang ist.“ (Seite 101)
Während Craig und Harry sich küssen und küssen und küssen, sehen wir Leser nicht die ganze Zeit zu. Nein, WIR lernen anderen Menschen kennen und zwar blicken wir regelrecht von oben herab. Wir hören die ganze Zeit verstorbenen Geistern zu. Schwulen verstorbenen Geistern. Das klingt vielleicht extrem abgedreht, ist es vielleicht auch, dennoch ist diese Perspektive aber total genial. Levithan eben!
„Schweigen ist nur dann schädlich, wenn Unausgesprochenes in der Luft hängt, oder die Furcht, dass der Quell versiegt ist und es nichts mehr zu sagen gibt.“ (Seite 105)
Bunte Welt
So lernen wir verliebte Jugendliche kennen, die offen zueinander stehen und akzeptiert werden. Aber wir treffen auch auf Ablehnung und Einsamkeit mit den neuen Gefühlen. Alles wird kommentiert von den Geistern, die hoffen, bangen und von oben versuchen Ratschläge zu geben. Ratschläge die wir auch geben wollen. Leider können die Protagonisten diese natürlich nicht hören.
„Mit manchen Menschen muss man nur ein Wort wechseln und hat schon das Gefühl, sie seit Jahren zu kennen.“ (Seite 126)
Autor David Levithan ist einfach ein Meister. Ein Meister der gefühlvollen Worte, wie ihr an den Zitaten sehen könnt, ein Meister bei der Themenwahl und ein Meister im Zeichnen der Charaktere. Diese stehen uns Lesern gleich sehr nah, wir leiden mit und sind umgeben von deren besonderen Geschichten. Mit diesem Buch hat er ein mehr als wichtiges Buch geschrieben, denn es trägt dazu bei, die schwarz-weiße Welt bunter zu machen.
Er versprüht Hoffnung, er gibt mit seinen Worten Kraft und diese sind nicht nur für Jugendliche bestimmt. Vielleicht kann der ein oder andere Junge den Roman sogar seinen Eltern geben oder auf den Nachttisch zum Lesen legen, die dem Thema Homosexualität ablehnend gegenüberstehen. Es wäre schön. Ich selbst mag das Buch sehr, sehr, sehr.
Werdet bunt und wenn ihr schon bunt seid, bleibt bunt!