Literatur ist nicht immer Schönwetter, aber das ist bekannt. Allerdings handelt es sich hier um einen absoluten literarischen Wetterumschwung und ich weiß bis heute nicht, wie ich den Roman von Jenny Offill auffassen soll. Ich bin mir sicher, dass Melanie Walz die Worte der Autorin aus dem amerikanischen Englisch einwandfrei übersetzt hat, richtig erreichen konnten sie mich aber nicht.
Und doch habe ich tatsächlich durchgehalten und den 224 Seiten Roman bis zum Schluss gelesen. Mich hat das Wetter in der Tat abgeschreckt, gleichzeitig hat es mich aber auch neugierig gemacht und ich musste wissen, wann der Blitz einschlägt und ob ich vielleicht am Ende doch nicht wie ein begossener Pudel aussehe. Hat mich Offill überzeugt?
Wetter
Puh, schwer zu sagen und wenn ich ehrlich bin: NEIN
Was bitte habe ich da gelesen, frage ich mich immer noch. Der Roman ist auf keinen Fall schlecht, er sticht sogar völlig aus der Masse raus und ist regelrecht abgedreht. Mir fällt es schwer, meine Meinung zu begründen, so andersartig ist dieser Stoff. Das beginnt direkt bei der Haptik, denn der Schutzumschlag fasst sich etwas rau, etwas sandig an.
Protagonistin Lizzie Benson ist Bibliothekarin von Beruf, was mir direkt gefallen hat. Die erste Begegnung war auch noch recht normal, dann merkte ich aber, dass ihr Leben immer schneller dreht. Als Amateur-Psychologin kann man scheinbar auch nicht ruhig leben, schließlich ist man andauernd beschäftigt, erst Recht, wenn man einen Ex-Junkie-Bruder und eine gottesfürchtige Mutter hat. Was für eine abenteuerliche Mischung – was bin ich froh, nicht in Lizzies Haut zu stecken. Das Fass läuft dann allerdings über, als Lizzie anfängt, für ihre alte Mentorin zu arbeiten. Podcasts sind nicht im Kommen – die gibt es inzwischen wie Sand am Meer und Lizzie willigt ein, die Fanpost von „Hölle und Hochwasser“ zu beantworten. Kein einfaches Unterfangen und es ist nett gesagt, wenn ich erwähne, dass ihr gefühlt ein Haufen durchgeknallter Menschen schreiben…
Das ist lustig, allerdings auch wieder nicht und so wechselt das Gefühlswetter sich durch die Seiten. Uff…
Und ich musste aufpassen, dass ich noch regelmäßig Luft hole. Jenny Offill hat mich zwar recht schnell in den Roman einsteigen lassen, doch dann hat sie mich irgendwie angetrieben. Sie hat mir die Ruhe genommen und ich wurde immer hektischer, fühlte mich angetrieben. Meine Neugierde steigerte sich parallel dazu, wobei ich ständig versuchte, die Bremse zu treten und dieses gewöhnungsbedürftige Gesamtkunstwerk zu begreifen. Der Roman hat keine Kapitel, das Schriftbild variiert, es gibt keine Seite ohne Absätze, bedeutet, dass sich ständige Unterbrechungen durch die Seiten ziehen. Das muss man erst mal verkraften, anderseits suchen wir Leser:innen doch ständig neue Herausforderungen. Und hier finden wir diese!
Familientrubel ~ Klimakatastrophe
Jenny Offill präsentiert letztendlich ein gehetztes Leben, davon aber nur die wichtigsten Momente. Wir bekommen in kurzer Form die Tageshighlights von Protagonistin Lizzie serviert, ungefiltert, ungeschönt und ohne auf den Tagesrhythmus einzugehen. Als ob wir in einem Tagebuch lesen. Stille Gedanken, Alltagshektik und jede Menge Familientrubel. Zwischendrin doch sehr kluge Gedanken und Worte und der Angriff auf die Psyche, denn die Hörer:innenzuschriften haben es in sich. Weltuntergang, Klimakatastrophe, besorgte Bürger:innen aus verschiedenen Meinungsquartieren gepaart mit ihren eigenen Vorstellungen und Gedanken. Da prallen viele Leben auf das bisher recht langweilige Leben der Lizzie Benson. Totaler Wetterumschwung.
Ach ja, bitte suche keinen roten Faden, den gibt es nämlich nicht! „Wetter“ (Piper) ist wirklich ein ganz außergewöhnlich ungewöhnliches Buch und für alle geeignet, die Lust auf ein Leseerlebnis haben, was so unbeständig wie das Wetter selbst sein kann.
Etwas Beständiges gibt es doch: Titel und Cover sind 1:1 zum Original 😉
Oi, oi, schwierige Kost. Bin ja schon auf instagram bei „Wetter“ bei Dir hängen geblieben. Werde es aber trotzdem nicht lesen, weil es mir zu anstrengend erscheint und suchend nach Gutem im Buch.
Hut ab, dass Du es ausgelesen hast.
Liebe Grüße,
Simone.
Liebe Simone, also ich denke, dass du dir das Wetter sparen kannst. Allerdings gibt es auch ganz positve Lobeshymnen – allerdings bin ich immer so auf dem Trip, dass ich dann zu einem Buch greife, das wirklich gelobt wird. Da empfehle ich dir „Die Überlebenden“ oder noch besser „Junge mit schwarzem Hahn“ – absolute Empfehlung