Erzählungen – ein Wort was nicht allen Leseratten gefällt. Richtig?
Aber wartet mal, ihr solltet jetzt weiter lesen, denn ich bin eine von euch. Ja, ich mag auch lieber Romane, da man in diesen lange tauchen kann. Ich mag Romane, weil ich mehrere Stunden am Stück lesen möchte und nicht nur wenige Minuten.
Erzählungen mag ich eher weniger. Aber warum? Weil sie kurz sind, weil ich Protagonisten lieber von der ersten bis zur letzten Seite begleite, weil…
Lang ist meine Liste nicht wirklich und doch bin ich eine Romanleserin. Allerdings wurde ich gestern eines besseren belehrt und da ich immer noch total fasziniert vom Erlesenen und immer noch im Gefühlstaumel bin, kommen jetzt meine Worte über Karin Köhlers Erzählungen.
Vorweg möchte ich sagen, dass ich an zwei Tagen in zwei unterschiedlichen Wartezimmern saß und die knapp 240 nicht zu dicht bedruckten Seiten, verschlungen habe. Dabei war ich aber nicht mehr in Wartezimmer, denn gedanklich war ich in den Erzählungen selbst und ich glaube ab und an habe ich gekrümmt auf meinem Stuhl gesessen. Die Erzählwucht hat mich immer wieder getroffen und ja, immer wieder relativ unerwartet.
Schicksalsschläge erleben wir alle – früher oder später. Karen Köhlers Protagonisten erleben diese gerade dann, wenn eure Augen bei ihnen sind. Ihr erlebt mit, ihr bekommt das Erlebte erzählt, egal wie, ihr seid auch mittendrin. Genau an dem Punkt, wo das Eis bricht, wo die erste Träne fließt, aber auch dort, wo der erste Sonnenstrahl den Boden erreicht, der erste Hoffnungsschimmer glänzt.
9 Erzählungen haben mein Herz erobert und es wäre fatal, jede davon kurz anzuschneiden. Der größte Knalleffekt wird erzeugt, wenn ihr unvorbereitet in die jeweilige Erzählung taucht. Ihr werdet beim Lesen frieren, aber auch sehr schwitzen. Ihr werdet Schmerzen haben, aber auch lachen können. Was ihr aber am meisten spüren werdet, ist die Erzählfaust der Autorin.
Ihr Worte sind wie Peitschenhiebe. Einzelne Passagen habe ich laut vorgelesen und einige leise lesen lassen und jedesmal hat die trockene Art über tiefgründige Begebenheiten genau dort getroffen, wo die empfindlichste Gefühlsgrenze verläuft. Beim Lesen habe ich immer mehr Risse bekommen, wie die Scheibe nach dem Hagelkorneinschlag. Karen Köhler schubst mich, zieht mich an und stößt mich ab. Sie tritt zu. Sie reißt an mir.
Eigentlich wollte ich euch meine Lieblingserzählung nennen, eigentlich. Ich hatte vor, mich auf eine festzulegen. Es funktioniert aber nicht, dazu sind die Erzählungen zu gut, zu facettenreich. Ob kurz oder lang, jede einzelne saugt sich wie ein Blutegel fest, lässt schwer schlucken und verankert sich im Leserknochenmark. Beeindruckend!
Dramatische Momente werden so erzählt, als ob es jeweils unsichtbare Fäden zum eigenen Leben gibt.
Wenn ihr in dieses Werk einsteigt, setzt euch so hin, dass ihr beim Aufblicken eine weiße Wand seht. Diese werdet ihr brauchen, glaubt mir. Bilderfluten wollen sich ihren Weg suchen und es muss erneut auf das eben Gelesene geblickt werden, bevor sich das Bereitschaftstor im Leserherz für die nächste Erzählung öffnet. Die Sprachlosigkeit wird euch ereilen und die weiße Wand wird helfen, zu verarbeiten.
Ihr wisst vielleicht, das Nebel rückwärts Leben heißt, aber was eine Streitmaschine ist, wisst ihr nicht, richtig? Erlest es…
Nicht nur sprachlich, auch optisch ist das Werk beeindruckend. Der Schutzumschlag lässt sich durch auffalten vergrößern. Spuren im inneren des Umschlags versuchen einen Wegweiser darzustellen und ebendiese Spuren werden auf eurem Leserherz zu finden sein.
„Wir haben Raketen geangelt„ (Hanser) – 9 Erzählungen welche mich wirklich total umgehauen haben. Nichts ahnend, was mir passieren wird, habe ich mich auf ihre Worte eingelassen. Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich dieses Werk, welches auf vielen Kanälen hoch gelobt wird, lesen soll.
Erzählungen…wie gesagt. Aber nun weiß ich, dass es Erzählungen gibt, die mich begeistern können. Aber ich bin mir auch jetzt schon sicher, dass ich nicht gleich wieder Erzählungen lesen werde. Klingt nach absolutem Widerspruch, aber den kann ich gut begründen, denn diesen Erzählungen werden nicht so schnell andere das Buchstabenwasser reichen können.
Bei der Bibliophilin solltet ihr vorbeigucken, denn dort gibt es mehr Stoff in Form einer Blogtour und ihr findet dort eine Erzählung aus „Wir haben Raketen geangelt“. Zudem danke ich ihr, denn ich habe diesen Schatz bei ihr gewonnen und ich werde ihn gut hüten.
Egal ob ihr Erzählungen mögt oder nicht – Karen Köhlers Schreibe solltet ihr kennen, unbeding!
Leserknochenmark….du kommst auf Ideen….hihi…
Das Buch klingt gut, auch wenn ich ebenfalls längere „Erzählungen“bevorzuge 🙂
Es ist der HAMMER – absolut.
Ich bin immer noch schockiert, fasziniert und gebe mich den Emotionsströmen hin.
Liebe Mareike, oder liebe Binea (?),
die Erzähl-Konstruktion verwirrt mich gerade etwas – aber wer auch immer Du sein magst, die Besprechung ist so durch und durch zutreffend und ich kann Dir nach der Lektüre dieses tollen Buches nur zustimmen.
Das mit den Erzählungen ist so eine Wach. Für mich habe ich festgestellt, dass es in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur einfach nicht solo viele Autorinnen und Autoren gibt, die gute Kurzgeschichten schreiben. Das liegt vielleicht daran, dass ich die Short Stories angloamerikanischer Autoren wie Margret Atwood, Harold Brodkey oder zu Beginn seiner Autorenlaufbahn auch von Philip Roth einfach so gut finde, dass wenig deutschsprachiges da ran kommt. Man müsste mal eine Genrebeschreibung machen und den Begriff der Erzählung gegen den der Short Story stellen. Wie auch immer, Karen Köhler hat mir mit ihren Erzählungen beim Lesen das Gefühl vermittelt, da schreibt eine genau auf den Punkt. Einfach tolle Geschichten, einfach grossartige Protagonisten, in relativ wenigen Worten hingemalt, manchmal knallig, manchmal eher leise, aber eben immer auf den Punkt. Für mich also Short Stories.
Du hast übrigens sehr recht, man sollte keine Gescheite hervorheben, das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite lesenswert. Ich hoffe jedenfalls sehr, dass Karen Köhler in Zukunft noch mehr solcher Dinger heraushaut, viele von ihrer Sorte gibt es ja nicht.
Liebe Grüsse
Kai
Lieber Kai, ich danke dir sehr, für diese wundervollen Worte. Ich weiß nur nicht, wie du auf Mareike kommst 🙂
Ich bin doch die Bini, also Binea. Hihi.
Die Erzählungen sind einfach der Hammer – ich habe jetzt so schwärmen müssen. Bin immer noch am Schwärmen und gerade sehr im Dialog mit einer Buchhändlerin, der lieben Malika Wolf. Sie wird sich jetzt auch zwischen Karen Köhlers Worte stürzen und danach werden wir uns wieder austauschen.
Deinen Satz – viele von ihrer Sorte gibt es ja nicht – unterschreibe ich so!
Grüße zu dir!