"Zertrennlich" - literatwoisches Lagerfeuer
„Zertrennlich“ – literatwoisches Lagerfeuer mit Zwillingsflamme

Es gibt Bücher, über die muss man einfach ganz dringend reden. Ihr kennt das sicher, oder?

In Zerbrechlich (Script 5) spielt ein Zwillingspärchen die Hauptrolle – nicht das erste Buch für mich, denn mit Zwillingen kenn ich mich inzwischen aus, ein wenig jedenfalls. Wer Literatwo verfolgt, kennt sicher die ein oder andere Zwillingsaktion, wenn nicht, dann guckt mal HIER.

Dieser Roman aus der Feder von Saskia Sarginson hat in mir von Seite zu Seite Redebedarf ausgelöst. Die große weite Bücherwelt hält viele Überraschungen bereit und die liebe Monika Souren – seit wenigen Tagen waschechte Buchhändlerin – ließ ihre Leseaugen genau am selben Tag über die Romanseiten gleiten. Gesucht und gefunden und das innerhalb weniger Stunden.

Wir freuten uns beide sehr darüber und jetzt freuen wir uns, dass wir euch hier und jetzt ans literatwoische Lagerfeuer einladen können. Macht es euch gemütlich und bevor ihr uns lauscht, schaut euch doch den Trailer an und werdet gefühlig…

Binea fragt ~ Moni antwortet

Welchem Lesertyp und welchem Lesealter würdest du das Debüt von Saskia Sargison empfehlen?

Der Verlag wird mit diesem aktuellen Titel, seinem Ruf Formate für junge Erwachsene anzubieten gerecht. Allerdings fällt es mir schwer, bei der Vita der Protagonistinnen und den verarbeiteten Themen, dieses Buch einer jugendlichen Zielgruppe zuzuordnen. Vielmehr finde ich, dieses Buch braucht einen reiferen Leser. Vornehmlich erfahrene LeserInnen, die ihre Schulzeit schon hinter sich gebracht haben. Zudem ist es natürlich für die Hanni und Nanni- Fans von früher, die aus dieser Reihe rausgewachsen sind und ein Faible für Zwillinge haben oder eben selber eine solch besondere Zwillingshälfte in ihrem Leben haben dürfen. Betrachte ich nachträglich die problematische Situation von Viola und ihr schwieriges Verhältnis zu ihrem eigenen Körper, setzt das ein entsprechend gesundes Körperbewusstsein der Leserschaft voraus. Natürlich gibt es auch die Chance, Violas Geschichte als Erfahrungsbereicherung zu sehen, wobei sich ihre eindringlichen Erzählungen eher nachträglich als Ergänzung zum eigenen Schicksal von Betroffenen anbieten, da das Spiegelbild dem Lesenden sehr vehement vor Augen gehalten wird.

Isolte oder Viola – welche der zwei Schwestern ist dir mehr ans Herz gewachsen und warum?

Ehrlich gesagt, fällt mir die Wahl mehr als schwer. Ich sehe mich in beiden ein wenig, aber eben nur ein wenig. Auf der einen Seite hätte ich mir immer von Herzen eine Schwester gewünscht und Zwillingsgeschwister sind die Krönung in einem familiären Beziehungsgeflechtes.

Außerdem finden sich in meinem Charakter sicher Facetten von beiden Schwestern wieder: Isolte, die nach außen hin, ein scheinbar normales Leben zu führen versucht, aber innerlich von vielen Gedanken geprägt aus der Realität fortzutreiben scheint. Das kenne ich von mir selber nur zu gut. Es heißt, das liegt an meinem Sternbild dem Fisch: die schwimmen gerne davon, tauchen in Erinnerungen und in Tagträumen ab. Dies ist eigentlich eine Eigenschaft, die auch Viola in Teilen zeigt: sie träumt sich zurück und hat viele kindliche Wünsche, die in Erfüllung gehen können oder auch nicht. Ich jedenfalls wünsche es ihr, denn sie ist eine Figur, die, wenn sie denn die Kraft dafür findet, mehr dafür kämpfen wird als ich es von Isolte erwarten würde, die das Schicksal eher passiv durch die Welt treibt und die etwas orientierungslos in eben diese blickt.

"Zertrennlich" -
„Zertrennlich“ – Saskia Sarginsons Debüt

Cover – Titel – Inhalt – passen zusammen oder nicht?

Das Titelbild suggeriert auf den ersten Blick harmlose Urlaubsstimmung. Als ich zuletzt ein Sommerfenster dekorierte, fiel mir instinktiv „Zetrennlich“ ein. Die Geschichte, die sich dahinter verbirgt, ist allerdings alles andere als sanfte Strandlektüre. Ein Buch, das bewegt und das nicht nur Bianca leicht geschockt zurück gelassen hat.

Natürlich ist es immer schwierig, wenn Lesen mit einer Erwartungshaltung (die von Cover und Titel beeinflusst sein kann) geschieht. Im Nachhinein betrachtet, verschiebt sich auch mein Blick auf das Buch: das Bild passt zu meinem Bild von den beiden Schwesterherzen. Ihr Blick in die Zukunft liegt ungewiss am Horizont – genauso unsichtbar ist der für den Betrachter. Ihren Weg können die beiden Unzertrennlichen nur getrennt finden und müssen sicherlich noch lernen loszulassen – ihre Umarmung muss sich noch lösen. Sie dürfen einander loslassen und auch die gemeinsamen Kindheitstage und ihre Idee der eigenen, leicht kindlichen Sicht vom Glück und dessen Schattenseiten.

Gerade das Ende meines Weges mit Viola und Isolte konnte diese Lücke füllen und ich hoffe, so ergeht es auch euch vielleicht bei der Lektüre. Ein Buch, das dermaßen zum Nachdenken anregen kann, braucht nun mal ein Cover, das im Regal auffällt ohne wirklich aus der Reihe zu fallen.

Welche Stelle im Roman hast du dir markiert, weil sie für dich besonders ist?

Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir Isoltes Begegnung auf dem Pferderücken. Auch ich bin eine echte Pferdenärrin. „Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ ist für mich keine bloße Floskel, obwohl ich nur selten in diesen Genuss komme.

–          Sie legte eine Hand auf die Flanke des Hengstes und spürte, wie sein lebendiger Puls aus den Tiefen seines Herzens nach außen drang. Es war, als könne sie die Stimme des Pferdes hören, ihren langsamen Rhythmus.

… Sie hatte keine Angst. Am liebsten hätte sie den Moment festgehalten: den Geruch des Pferdes, seine Wärme an ihrer Haut. –

Eine solch innige Verbindung findet der Mensch nur selten zu einem Tier und längst nicht zu jedem Tier. Natürlich ist nicht jeder der geborene Reiter und hat vielleicht ein innigeres Verhältnis zu Katzen oder Hunden, und doch lassen uns die tierischen Begleiter unsere Lebendigkeit spüren. Sie wecken uns auf aus der Lethargie, lenken uns ab von Kummer. Nichts tröstet so sehr, wie eine warme Pferdenase oder seine eigene Nase von deren Rücken aus in den Wind zu halten. Es ist ein Gefühl von Fliegen und gleichzeitig erdet ein Ausritt in die Natur auf wundersame Weise. Ich kann mich frei fühlen und zugleich verbunden – ein unbeschreiblicher Moment, der schwer in Worten zu fassen ist und sicherlich schwer begreiflich für die, die es noch nie erlebt haben.

… Alles war miteinander verbunden. Nichts spielte eine Rolle mehr.

… Doch sie bekam das wunderbare Gefühl des Augenblicks nicht zu fassen, konnte es nicht festhalten und es entglitt ihr. – (S. 69)

Die Zweifel der Schwester sind berechtigt und sicher eine Begleiterscheinung des Augenblicks. Allein in der Natur nur mit einem Pferd zu sein, bedeutet für mich so viel mehr. Aber genau dieses Gefühl will hin und wieder geweckt werden. Sicherlich ist es schwer, sich von allen Einflüssen frei zu machen und den Genuss in vollen Zügen auszukosten. Gerade die Vorstellung hindert oft daran. Vielleicht hätte es Isolte geholfen, einfach den Kopf auszuschalten, dem Pferd die Sporen zu geben und einfach zu flüchten. Die Hufe, die auf der Erde trommeln, Wind in den Haaren und vorüberziehende Wolken am Horizont….

Das wäre für mich die beste Medizin gegen alles. Das würde ich ihr raten, so weckt ein ungebremster Ritt alle Lebensgeister und lässt sie so schnell nicht wieder erlöschen!

"Zertrennlich" -
„Zertrennlich“ – erste magische Worte

Welche Frage würdest du der Autorin stellen, wenn du ihr gegenüber stehen würdest?

Hmmm… mit Abstand die schwierigste Aufgabe für die Schlussrunde….

Auch hier weiß ich als Leserin von vielen Jugendbüchern, dass vielen die Frage nach einer Fortsetzung auf der Zunge brennt. Dieses Ende ruft auf der einen Seite nach einer Fortsetzung, lässt aber der eigenen Vorstellungskraft somit auch entsprechend Raum sich zu entfalten. Die Geschichte der Zwillingsschwestern ist geschrieben und doch nicht wirklich zu Ende geschrieben. Ich würde zu gerne wissen, ob das Schicksal, dass ich mir für die Zukunft der beiden ausmale dem nahekommt, dass sich die Schreiberin für sie gedacht hat. Ein richtig und ein falsch kann es nicht wirklich geben und trotzdem brennt mir die Auflösung dermaßen unter den Nägeln, dass ich sie endlich wissen möchte!

Ein Wiedersehen mit den Zwillingen brächte es für mich nicht, denn ich habe für mich selbst längst ein versöhnliches und trotzdem ehrliches Ende gefunden.

Wenn ich noch eine zweite einfache Frage stellen dürfte, würde ich außerdem wissen wollen, welche Zwillingsfiguren Pate gestanden haben könnten für solch ein Buch.

Gibt es eigentlich ein Zwillingspaar in der Literatur oder in der Realität, dass dich besonders fasziniert oder gar beeinflusst?

Moni fragt ~ Binea antwortet

Hättest du selber gerne eine Zwillingshälfte und wie sollte sie sein oder vielmehr, wie würde sie wahrscheinlich sein – zerbrechlich wie Viola oder angepasst wie eine Isolte oder ganz anders?

Mich doppelt? Das würde niemand verkraften *lach* Spaß beiseite – wenn ich eine Zwillingshälfte hätte, dann sollte sie mir schon ähnlich sein. Ich selbst bin ein sehr offener Mensch, vertraue sehr schnell, bin optimistisch und auch etwas frech und verrückt. Sie sollte so sein, dass wir gemeinsam der Welt den Kopf verdrehen und Pferde stehlen könnten.

Ich bin aber auch ein sehr emotionaler und feinfühliger Mensch, wenn meine Hälfte so wie Viola wäre, würde ich täglich ein schweres Herz mit mir herum tragen. Dann wäre ich wie Isolte und würde mich um sie kümmern und alles geben, sie aus dem Loch zu holen und ihr zeigen, wie schön bunt und lebenswert doch unsere Welt ist.

Wenn sie wäre wie Isolte, dann hätte ich wohl meinen Spaß, denn ich würde viel geben, um ihr ein wenig die Spießigkeit auszutreiben und um ein paar Hügel in ihre glatte Lebensstraße zu bringen. Isolte ist so fad, so normal, etwas verkrampft und eindeutig viel zu vernünftig.

Erwachsen werde ich selbst nämlich nie – dafür fehlt mir einfach die Zeit und es gibt wichtiger Dinge im Leben.  🙂

"Zertrennlich"
„Zertrennlich“ – wichtige Lesepunkte

Gibt es einen Ort, den du kennst, den du in dem Buch wieder gefunden hast, und wenn ja, was bedeutet er für dich und für dein Leben?

Wenn ich jetzt über einen Monat nach beenden des Romans zurück denke, fällt mir spontan der Wald ein. So genau habe ich über einen Ort nie nachgedacht und doch merke ich, dass der Wald sich in mir gefestigt hat. Viola und Isolte waren als Kinder oft im Wald unterwegs und die Autorin selbst lebt im mitten im Wald. Die beiden Jungs John und Michael, auch Zwillinge, haben viel Zeit mir ihnen verbracht. Viola denkt oft an diese Zeit im Roman zurück. Der Wald strahlt viel Geborgenheit aus…

Aber nicht nur der Wald – die Natur an sich, prägt wohl mein Leben, vor allem in meiner Kindheit/Jugend, war ich viel draußen, egal bei welchem Wetter. Wir sind in Bäumen geklettert, haben an den Ästen Schweinebaumeln gemacht, waren Pilze suchen und finden, haben Blätter gesammelt und wir haben aus Blumen und Gräsern Salben hergestellt. Als ich mit den vier Protagonisten gemeinsam im Wald war, bin ich gedanklich auch in meiner „Wald“-Vergangenheit spaziert.

Die eine Schwester sagt von ihrer anderen Hälfte, die beiden hätten eine besondere Sprache – diese fand ich beim Lesen dieses Romans für mich auch darin wieder – magische Worte, die wie Zaubersprüche sind. Wenn du dieses Buch noch einmal mit jemandem lesen würdest, welche besonderen Worte würdest du uns geben, die uns erklären könnten, warum diese Geschichte unbedingt gelesen werden muss?!

Isolte und ich hatten selbst eine Menge solch geheimer Sprüche – Worte mit magischen Kräften… Diese seltsamen Worte hatten Macht, sie konnten das Böse abwehren. (S. 97)

…. Es scheint fast, als hätte sie Angst vor der Macht ihrer Worte. Die Zaubersprüche sind Vergangenheit. (S. 157)

Die zwei Mädchen sind eben richtige Mädchen und lieben sich als Schwestern. In ihrer Kindheit waren sie eine Einheit und Worte mit magischen Kräften wie „unsichtbar wie der Wind“ konnten Böses abwehren und sie hofften auf Erfüllung.

Besondere Worte wie „Seelenanbohren“ oder „Zwillingsnervtreffend“ würde ich den Lesern mit auf den Weg geben und wenn ich den Roman noch einmal lesen würde, dann mit meiner nicht vorhandenen Zwillingsschwester oder aber mit einer Person, die mit mir Seelenverwand ist – meine beste Freundin oder meine Mama.

Dieser Roman ist für Zwillinge wohl ein MUSS – ich könnte mir auch vorstellen, dass Zwillinge auf der Such nach Literatur über bzw. mit Zwillingen sind – so würde es mir zumindest gehen. Und wisst ihr wer diesen Roman noch dringen lesen sollte? Später – in ein paar Jahren – das eineiige Zwillingspaar der Autorin selbst.

Doch nicht nur Zwillinge sollten zwischen die emotionalen Seiten wandern, auch Leser die ganz langsam lesen und die Worte der Autorin tief in der Leserseele spüren wollen. Allerdings denke ich selbst, dass sich nur ältere Leser und Leserinnen richtig hineinfallen lassen können. Saskia Sarginsons Worte sind für Jugendliche zu schwere Kost, so empfinde ich jedenfalls.

"Zertrennlich" - ein Roman für Leser die Tiefgang suchen
„Zertrennlich“ – hell & dunkel – stark & schwach

Glaubst du, dass Zwillinge neben ihrer Verbundenheit diese auch oft in der Sprache suchen und hättest du manchmal auch gerne Worte und Begriffe, die nur dir gehören? Wünschst du dir vielleicht auch einen besonderen Austausch durch so einen Code zu deinen treuen Lesern auf deinem Blog?

Die Frage ist genial und irgendwie lustig. Einige Worte verwende ich schon so oft, dass ich sogar daran erkannt werde. Sie werden mir ab und an regelrecht zugeordnet, wogegen ich natürlich nichts einzuwenden habe. Ich liebe das Wort „buchig“ oder eben „literatwoisch“ und Worte wie „Leseleben“ oder „Buchseele“ mag ich sehr und ich denke treue Leser wissen auch, was gemeint ist. „Literarisch-literatwoisches Fliegen“ ist ebenso bekannt und drückt einfach den puren Genuss aus, das große Glück zwischen den Seiten zu sein – eine Art literarisches Verliebtsein durch Worte von Autoren. „Gefühlig“ nicht zu vergessen…

Das Zwillinge auch oft die gleiche Sprache sprechen, finde ich genial, absolut. In meinem Bekanntenkreis gibt es ein Zwillingspärchen, welches bis heute seine damals erfundene Sprache spricht – ein Kauderwelsch den niemand versteht – ist das nicht magisch? So ganz eigene Worte aus denen kein Mensch herausfinden kann, was diese bedeuten? MAGISCH!

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