22 Bahnen ~ Caroline Wahl

Neulich habe ich im Radio in den Nachrichten die aktuellen Suchtzahlen im Freistaat Sachsen gehört. Die meisten Suchtkranken haben ein Alkoholproblem, was mich überhaupt nicht verwundert hat. Gerade die Droge, die ich auch aus dem Umfeld am meisten kenne und die Droge, in der es in Carolin Wahls Buch „22 Bahnen“ (Dumont) geht.

22 Bahnen

Es gibt nichts Schöneres, als Ida lachen zu hören, findet Tilda. Recht hat sie, denn die beiden haben keine intakte Familie. Ihre Mutter, gern als Monster bezeichnet, ist süchtig nach Alkohol und kümmert sich meist nur in der Reuephase um ihre zwei Kinder. Ida bringt ihre Gefühle meist malend aufs Papier und zeigt in ihren Bildern, was sie beschäftigt. Tilda vertraut sie sich natürlich an, ihre große Schwester nimmt die Mutterrolle ein und traut sich kaum eine sich aufzeigende Chance anzunehmen. Tilda ist ein Mathegenie und sie hat Angst, ihre Schwester alleine mit ihrer Mutter zu lassen. Ihr Ziel ist es, Ida fit fürs harte Leben zu machen, sie möchte, dass sie aus sich herauswächst und sich vor allem wehren kann.

Tilda selbst steht vor einer Weggabelung und gleichzeitig taucht Viktor auf, der Bruder ihres verstorbenen Freundes. Das Schwimmbad wird zum magischen Dreh- und Angelpunkt. Ida ist an Regentagen mit ihrer Schwester dort, sie liebt den Regen und bekommt immer mehr mit, was Tilda beschäftigt. Die Liebe mischt sich zudem in das Leben von Tilda und Ida und der Lebensstrudel beginnt beide immer mehr mit sich zu ziehen. Und dann passiert es – es folgt eine neue Herausforderung, die das Seil aus Verantwortung und Freiheit erneut zum Schwanken bringt.

Highlight! Absolut! Richtig stark und gefühlvoll und so realistisch und nah.

Alkoholsucht

Dieses Buch ist aus meinem Regal nicht mehr wegzudenken, die zwei stärksten Charaktere seit Langem. Tilda – von Kind auf wie eine Mutter für Ida. Ida, so reif und altklug, weil das Leben es so von ihr verlangt. So viele schöne Szenen zwischen den Geschwistern, Rückblicke auf wunderbare Freundschaften und völlig unbeschwerte Zeiten. Herrlich erfrischend lässt Caroline Wahl trotz der kaputten Mutter-Kinder-Beziehung Ida und Tilda Lebensluft atmen und schöne gemeinsame Erlebnisse haben. Freiheit und Beklemmung sind so nah beieinander und es schwebt beim Lesen diese Gewissheit mit, dass wieder etwas passieren wird.

Die Gewissheit, dass ich vieles verlieren kann, einen Vater, eine Mutter, eine normale Kindheit, dass nichts sicher und beständig ist, dass aber Bücher trotz allem bleiben, dass mir niemand diese Geschichten, diese Welten wegnehmen kann, in die ich zu flüchten vermag, beruhigte mich und machte mich unverwundbar.

Seite 105/106

Ich habe die guten Seiten dieses Buches so intensiv genossen, das Schwimmbadsetting ist so vielseitig stark, auch die Freundschaften sind so unbeschwert und gehaltvoll. Viele bunte Zettel habe ich im Buch verklebt, die tolle Sätze, prägende Momente, gefühlvolle Situationen und krasse Zeilen kennzeichnen und schnell wiederfinden lassen.

Trotz bedrückender und beängstigender Situationen kosten die Mädchen das Leben und stehen füreinander ein. So viel Mut, so viel Klugheit und so viel Schicksal. Caroline Wahl trifft den Ton der Zeit, schreibt unfassbar einfühlsam und hart zugleich. Beeindruckend. Spannend und lang nachwirkend. Liebevoll und zwischenmenschlich. Grandios feinfühlig umgesetzt.

Radieschen, Reisenthel-Körbe und Supermarktkassen lassen mich sofort an diesen Roman denken, den ich einfach von Herzen empfehlen muss und wirklich arg liebe. Ja, ich bin durch und durch überzeugt und glücklich, diese Geschichte zu kennen.

Wegen dieser Art von Büchern lese ich!!!

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