Demenz. Ein Roman über Demenz. Nein, liebe Leser, falsch gedacht. Zugegeben, ich dachte bei dem Namen des Titels ebenso dran, dass die Krankheit die Hauptrolle im Roman spielt. Liebe Leser, hier denkt ihr aber falsch, das Hauptthema ist genau jenes welches, was im Titel zu finden ist.
Es geht um einen Mann, in diesem Fall trägt er den Namen Jack Sjödell. Jack lebt mit seiner Frau und Robbenliebhaberin Aino an der schwedischen Küste und liebt sie durch und durch. Jede freie Minute ist er mit ihr zusammen und er kann sich nichts Schöneres vorstellen, als dieses Zusammensein zu leben und jede gemeinsame Sekunde auszukosten.
Doch dann passiert etwas, womit Jack und auch wohl kein anderer Mensch gerechnet hätte. Aino erkennt ihren Mann erst nach wenigen Minuten, dann dauert das Erkennen, wenn er von seinem Arbeitstag auf Schloss Myntholm heimkommt eine gefühlte Ewigkeit und dann erkennt sie ihn gar nicht mehr. Ihr geliebter Mann, ihr Jack, wird zu einem fremden Herrn der sich einfach in ihr Haus geschlichen hat. Jacks Albtraum allerdings geht weiter, denn als der ungeplant Obdachlose Jack bei seiner Mutter Unterschlupf sucht, erkennt auch sie ihn nicht. Jack ist verzweifelt. Erst Aino, dann auch noch seine Mutter.
Jack bleibt nichts anderes übrig, als sich wie ein Vergessener zu fühlen, denn auch seine Kollegen erkennen ihn nicht mehr. Er ist einsam und allein und muss versuchen sein neues, ungewolltes Leben lebenswert zu machen. Marie, eine Frau die ebenso andersartig wie er ist, will ihm helfen. Er ist froh über diese wegweisende Begegnung, denn sie öffnet ihm die Augen und vor allem eine bisher völlig unbekannte Welt…
Autorin Mia Ajvide, im Jahr 1950 geboren, widmet sich in ihrem Debütroman einem außergewöhnlichen Thema. Sie lässt ihren Protagonisten Jack zu einem Vergessenen werden und wickelt ihn und seinen Mitprotagonisten in verschlungene Familiengeschichten. Der Roman ist sehr speziell und kaum in ein richtiges Genre einzuordnen. Er ist eine Mischung aus Familien- und Liebesroman mit unglaublichen Elementen die Gänsehaut verursachen.
Es ist nicht nur aufregend und emotional Zeit an Jacks Seite zu verbringen, sondern auch selbt den eigenen Gedanken nachzugehen. Vielleicht haben wir ja selbst schon Mitmenschen vergessen? Wir würden es nie merken, nie, nie, nie. Der Gedanke ist irgendwie erschreckend. Oder?
Ich habe mit viel Genuss im fast 400 Seiten Werk gelesen und mich sehr wohl zwischen Ajvides Worten gefühlt. Bei frühlingshaftem Strandwetter konnte der Roman sich voll entfalten und mich tief in die Geschichte, in der sich Jack selbst hinterfragt und seine Wurzeln erforscht, hineinziehen.
Wundervolle Zitate sind im Roman, welcher in vier Teile geliedert ist, zu finden. Schon der Name des ersten Kapitels „Flüchtig wie ein Regentropfen“ zeigt, dass sich der Leser auf eine Lesezeit einstellen kann, die in Erinnerung bleiben wird. Mein Zitatbuch hat sich mit diesen Worten gefüllt:
„Das war keine Sternschnuppe, sondern ein Funke, der da aufgestiegen ist“…“Wenn sich zwei Menschen lieben, bilden sich Funken, die in den Himmel steigen.“ (Seite 25)
„Alma war die Luft, die er atmete, das Wasser, das er trank.“ (Seite 153)
Neben dem Inhalt mag ich auch das Cover sehr. Die Farben, das Bild, der Titel – hier ergibt alles eine Einheit.
Ein literarischer Hochgenuss, den ich selbst mit keinem anderen Werk vergleichen kann. Das Thema um „Vergessene“ ist für mich neuartig, speziell und nicht nur der einzige Schwerpunkt im Roman, denn durch die Liebe, die Vergangenheit, die Zukunft und die Gegenwart wird dieses Werk einzig facettenreich. Ajvide vereint alle Worte und Gedanken so, dass sie am Ende schlüssig sind und den Leser mit einem guten Gefühl an Schweden zurückdenken lassen.
„Der Mann, der vergessen wurde„ von Mia Ajvides (Klett-Cotta) ~ eine Familiengeschichte, welche immer mehr Knospen bekommt, die den Namen Liebe tragen.
Wieder einmal eine sehr schöne Rezi, die mich dazu bringt das Buch augenblicklich auf die Wunschliste zu setzen 🙂
LG Nanni
Vielen lieben Dank Nanni 😉