An einigen Romanen kommt man einfach nicht vorbei. Kennt ihr das? Ihr seht den Roman immer wieder in einer Buchhandlung, auf Facebook postet fast jeder literarische Freund, wie gut der Roman ist und im Internet stolpert man immer wieder über die Abbildung des Covers.
So ging es mir bei diesem Werk von Jojo Moyes. Irgendwann hat es mir einfach „gereicht“ und ich habe mir diesen absoluten Lustkauf gegönnt. Ob ich dies bereut habe? Keineswegs, denn welches Leseabenteuer ich erfahren durfte, kann ich kaum in Worte fassen. Der Roman ist aus meiner Lebensbibliothek nicht mehr wegzudenken und alle die immer noch überlegen, ob sie ihn lesen sollten, kann ich nur dringen raten es zu tun. Aber seid gewarnt…
Es wird tief, hochemotional und Taschentücher müsst ihr unbedingt bereithalten, denn durch die große Gefühlsflut wird kein Auge am Ende trocken bleiben. Es sei denn, ihr habt noch nie bedingungslos geliebt…
Vor kurzer Zeit habe ich mich noch dem Roman „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ hingegeben und möchte gleich zu Beginn sagen, dass dieser schon mehr als Tiefgang hatte und wer ihn mag, kann und darf sich „Ein ganzes halbes Jahr“ nicht entgehen lassen.
Für empfindliche Gemüter ist ein wenig Vorsicht geboten, denn gerade zu Beginn ist es heftig, den im Prolog passierenden Unfall zu akzeptieren. Unfälle können Leben verändern und ich weiß genau, wie sich dies anfühlt. Das kräftige Hinunterschlucken des Kloßes im Hals beginnt recht schnell.
Lernen wir Will zu Beginn als lebensfrohen jungen hübschen und erfolgreichen Mann kennen, verändert sich diese Bild ganz heftig und abrupt. Will verwandelt sich von heute auf morgen vom Senkrechtstarter zum kompletten Gegenteil und seine Empfindungen können absolut nachvollzogen werden. Ein Schicksalsschlag der auch seine nicht ganz intakte Familie völlig aus der Bahn wirft.
Louisa Clark, kurz Lou, wird ebenfalls aus der Bahn geworfen, allerdings ist dies nicht mit Will zu vergleichen. Sie verliert ihren Job und muss sich zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Begriff arbeitssuchend auseinander setzen. Doch diese Arbeitslosigkeit ist familienübergreifend, denn ihre Eltern sind finanziell von ihr abhängig. Ihre Schwester Treen mit ihrem kleinen Sohn Thomas wohnt ebenfalls noch zuhause und trägt nichts zur finanziellen Unterstützung bei. Zudem hat Lou zu ihrer Schwester nicht das beste Verhältnis, da diese jünger und schon immer besser als sie selbst war. Ein Zickenkrieg und eine Art Wettrennen steht untereinander einfach immer auf der Tagesordnung.
Als alle Jobstricke reißen nimmt Lou die Stelle bei Familie Traynor an. Ihr Sohn Will muss betreut und unterhalten werden und zwar für genau 6 Monate. Eine Herausforderung die Lou, die gern wieder in einem Café arbeiten würde, nicht wirklich annehmen möchte, doch die sehr gute Bezahlung lockt. Ihr bleibt im Anbetracht der Familie die sie mit zu versorgen hat, auch keine andere Wahl als ein ganzes halbes Jahr Will zu betreuen.
Die erste Begegnung der zwei Hauptprotagonisten verläuft kühl, Will ist voller Hass und er möchte nur seine Ruhe und eigentlich möchte er sein Leben so schnell wie möglich beenden. Seit dem Unfall ist er gelähmt und fast vollständig von anderen Menschen abhängig. Keine Entscheidung kann er mehr treffen, der lebensfrohe Abenteuerfreak möchte dieses neue Leben nicht leben und lässt vor allem auch Lou spüren, wie ernst er es meint. Will ist abweisend, zynisch und möchte Lou loswerden.
Lou steht kurz davor das Handtuch zu werfen, denn das tägliche Zusammensein mit dem dauernd schlecht gelaunten Will und seinen Anordnungen sind nicht wirklich ertragbar. Doch dies kann sie ihrer Familie nicht antun. Ihr Freund Patrick beginnt sich ebenfalls mehr und mehr zu verändern und kann ohne seinen Sport nicht leben. Dieser wird immer mehr zu seinem Lebensschwerpunkt. Lou ist eher der nette Entspannungsbonus für ihn, den er dann beansprucht, wenn ihm danach ist und das wird immer seltener und ihr Zusammensein immer oberflächlicher.
Lou fühlt sich im Hause Traynor unwohl, was auch an Wills unfreundlicher Mutter und ihrem Vater, der lieber in einer anderen Familie wäre, liegt. Als Lou allerdings ein Gespräch belauscht, was wirklich nicht für ihre Ohren angedacht war, gibt es in ihr einen Knack und sie stellt sich ans Lebensruderrad und gibt ihr bestmögliches. Was sie nicht weiß: sie selbst ist wohl die einzige Chance die es noch gibt…
Was Jojo Moyes für ihre Leser bereit hält ist eine Geschichte die sehr an die Realität verknüpft, regelrecht mit ihr verankert ist. Es fehlen die Worte um gleich nach dem Lesen dieses Werkes, was einen Platz ganz weit vorn im Regal meiner Lebensbibliothek bekommen wird, darüber zu reden oder zu schreiben. Ein tiefes Durchatmen und Tränen wegwischen sind die ersten zwei Schritte nach dieser Liebesgeschichte der anderen Art. An keinem Leser wird dieser Roman ohne gewisse Spuren zu hinterlassen, vorbei gehen. Und genau das wollen wir Leser doch – die Spuren der Romane in uns tragen und immer wieder daran erinnern.
Dieser Roman greift so unterschiedliche Problemfelder auf, welche so grandios beschrieben und gewandelt werden, dass ich dafür kaum Worte finde. Größtenteils ist der Roman aus Lous Perspektive erzählt, was für diese unglaubliche Nähe sorgt. Ich mag Lou mit ihrem andersartigen Modegeschmack und ihrer positiven humorvollen Art. Aber auch die anderen Charaktere kommen zu Wort, genau dann wenn man nicht damit rechnet und auch wirklich nur selten und kurz, so dass diese bestimmten Zeilen zielsicher ins Herz treffen und wichtige Wegpunkte setzen. An diesen Wegpunkten rückt der Zusammenhalt der Familie in ein ganz anderes Licht und bisherige Tagesordnungen ändern sich von jetzt auf gleich.
Die knapp 520 Seiten lesen sich wirklich in einem Stück weg, da der Leser regelrecht in die Familie integriert wird und einen festen Platz bekommt. Moyes schreibt so unglaublich nah, dass Lou und Will einem sofort fehlen, nicht erst am Ende. Die Erlebnisse der beiden Protagonisten sind so prägend und so fantastisch andersartig und besonders, regelrecht magisch. Der Besuch im Tattoostudio, die gemeinsame Zeit überhaupt oder das ganz andere modische Geburtstaggeschenk was mitten ins Herz trifft, da Will einfach mit offenen Augen durch sein neues Leben geht, obwohl er es hasst. Will würde alles tun, um Lou glücklich zu machen…
Die Bilderfluten sind so enorm und mein Gedankenkarussell hat sich so heftig gedreht, dass es schwer für mich war, im Sitz zu bleiben.
Das Verständnis ist im Roman der wichtige Faktor und auch im realen Leben ist es der Punkt der Punkte. Kein leichter Punkt, denn jeder von uns hat schon Schicksalsschläge hinnehmen müssen oder Entscheidungen ertragen müssen, wo er einfach nur ganz laut geschrien hätte und davon gelaufen wäre. Oder?
Dieser NEIN-Schrei muss einfach raus. Diese Welle des Untragbaren löst im Gegenüber einen unsagbaren Stress aus und einen Zusammenfall des bisherigen Lebens. Worte, Entscheidungen und Unfälle – ob beinflussbar oder nicht, können ganze Zukunftspläne über den Haufen werfen und Mauern aufstellen, wo noch keine waren. Es macht mich schier wahnsinnig Situation zu erleben, an denen man nichts mehr ändern kann und das nie, nie wieder. Innerlicher Zusammenbruch und Stress pur, der mich auffrisst und kaum Raum für Entspannungsminuten lässt.
Ich selbst habe mich oft als Lou gesehen, da wir einiges gemeinsam haben und sie genauso gehandelt hat, wie ich es getan hätte und doch musste ich feststellen, dass sie etwas mutiger ist. Akzeptanz heißt das Zauberwort, in bestimmten Situationen das härteste was es wohl gibt. Lou ist für mich bewundernswert mit ihren 26 Jahren, einfach stark und gern hätte sie zur Freundin. Ich ziehe den Hut vor ihr und bin durch und durch beeindruckt und sage ihr dies jetzt persönlich, denn gedanklich bin ich neben ihr im Café in Paris.
Jeder der liebt und das bedingungslos, wird in diesem Roman weinen müssen und eine ganz dicke Träne hat sich auf Seite 518 in die Seiten gesogen, als ich Seite 519 las.
Auch nach diesen Zeilen hier verschwimmt mein Blick und ich muss tief einatmen und versuchen wieder klar zu sehen.
DANKE an Jojo Moyes für Lou und Will und ihre Geschichte!
P.S. Vergesst nicht die obligatorische Tasse Tee beim Lesen, denn in Lous Familie gibt es angeblich nichts, was nicht durch eine Tasse Tee besser wurde.
Ich bin gerührt und auch durch geschüttelt. Ganz groß Bianca. Danke Dir für diesen Nachblick. Es ist eines dieser Bücher, die tiefer gehen, als gedacht. Die so dermassen berühren, das es dich umhaut. Die dir dein Leben so durcheinander wirbeln, und nichts mehr am rechten Platz ist. Das dir auch im nach hinein soviel zu denken gibt und dir einen Gänsehautschauer nach dem anderen den Körper runter jagt.
Ja, Lou hätte ich auch gerne als Freundin. Sie kann einem bestimmt viel Mut geben. Auch mir fehlen Will&Lou. Aber wir haben sie ja ganz tief in unseren Herzen.
Ich kann nur jede Aussage genau so unterschreiben. Das Buch bewegt, ist tiefgreifend und erschütternd zugleich. Ich hab Rotz und Wasser geheult beim Lesen.
Liebe Grüße
Danke liebes Tintenmaedchen, dass wir Hand in Hand gehen – ein gutes Gefühl.
Auch heute, wenn ich daran denke, wird sofort mein Hals von einem Kloß verstopft…schnief…
Bin mehr als froh es gelesen zu haben.
“Manchmal liest man ein Buch, und es erfüllt einen mit diesem seltsamen Missionstrieb, und du bist überzeugt, dass die kaputte Welt nur geheilt werden kann, wenn alle Menschen dieser Erde dieses eine Buch gelesen haben.“ (Das Schicksal ist ein mieser Verräter, Seite 36)
Passt bei „Ein ganzes halbes Jahr“ wie die Faust aufs Auge.
Ganz liebe Grüße
Ohja – diese Worte sind gold – und by the way…ich habs auch gelesen – Rezi schon gefunden?
🙂
Hast absolut recht! Ich mag beide sehr!
Ich habe gerade „ein ganzes halbes Jahr“ zu Ende gelesen und fand es mindestens genauso toll wie “ das Schicksal ist ein mieser Verräter“, auch schön : „wieviel Leben passt in eine Tüte“ – jetzt warte ich auf weitere Vorschläge ähnlich toller Bücher…..
Ohja – die beiden ersten habe ich auch gelesen und mag sie sehr, sehr, sehr.
„Wieviel Leben passt in eine Tüte“ muss ich mir gleich einmal ansehen, danke für deine Worte!
Bin auf den neuen Roman von Jojo Moyes gespannt, mal sehen, wenn ich ihn mir hole.