Da ich unsicher war, welche Triggerwarnung ich für „Jägerin und Sammlerin“ aussprechen soll, habe ich die Autorin Lana Lux gebeten, selbst das Wort zu übernehmen:
Dieses Buch verhandelt sehr viel mehr als „nur“ Bulimie. Dennoch, ist die Bulimie ein zentrales Motiv des Romans. Mein Wunsch ist es, dass alle dieses Buch lesen. Sowohl Menschen, die das Thema Bulimie nicht so richtig ernst nehmen können, weil es ein „Luxusproblem“ ist, als auch die, die es unmittelbar selbst betrifft. Streckenweise enthält der Roman konkrete Schilderungen eines essgestörten Verhalten, ohne es zu beschönigen oder zu glorifizieren. Menschen in Recovery sollten für sich daher abwägen, ob es für sie persönlich von Vorteil oder von Nachteil wäre sich damit zu konfrontieren.
Jägerin und Sammlerin
Hast du gedacht, dass sich hinter dem niedlichen Eichhörnchen so ein starkes Thema verbirgt? Wenn man den Titel betrachtet, liegt es auf der Hand, dass es um eine Jägerin und Sammlerin geht oder um zwei Menschen, die man so bezeichnen kann. Bist du eher Typ Jäger*in oder Typ Sammler*in oder stecken beide Typen in dir, in uns? Oder spielt es im Wald?
Lassen wir die Fragen kurz offen und schauen wir mal unter den Buchdeckel, denn es befinden sich darunter nicht nur gehaltvolle Sätze, sondern auch eine wirklich krasse Mutter-Tochter-Beziehung, die im weiteren Umfeld vielleicht sogar in einer Vielzahl vorkommt. Da ich bereits „Kukolka„ von Lana Lux verschlungen habe, war ich mir sicher, dass ich erneut in den Bann gezogen und zutiefst berührt werde. Lana Lux ist eine Autorin, die alle Gefühle ihrer Leser*innen aufrufen möchte. Sie schüttelt durch, schockiert und öffnet Augen. Mit meiner Vermutung und Erwartung lag ich sehr richtig und ich habe mich tief in der Geschichte festgelesen.
Alisa und Tanya
Ich erzähle nicht zu viel, wenn ich dir sage, in welcher Umgebung du dich auf den ersten Seiten befinden wirst. Du triffst in erster Linie Alisa und ihre Freundin. Beide haben ein Problem mit ihrer Körperwahrnehmung, allerdings ist es Alisa, die du in erster Linie begleitest. Du möchtest ihr beim Kotzen die Haare hochhalten, du möchtest sie allgemein halten und befreien. Befreien von ihrer falschen Sicht, vor allem aber von ihrer Mutter. Alisa will einfach nur von ihrer Mutter geliebt, gesehen und für voll genommen werden. Das ist ihre große Sehnsucht, die Magersucht und Bulimie ihr großer Schrei nach Mutterliebe.
Ihre Mutter Tanya wirst du vermutlich hassen und das ist ganz normal, da du Alisas Hand hältst. Tanya kommt immer wieder ruckartig aus dem Schatten auf die Lebensbühne und du möchtest ihr gern den Vorhang vors Gesicht ziehen, sie vielleicht sogar aus dem Rampenlicht katapultieren. Doch dann kommt alles anders und du musst dich ordnen…
Eichhörnchen
Denn dann werden die Worte härter als Stein und die Emotionen kochen über und über. Dann siehst du das Eichhörnchen vom Cover vor dir – die Rollenverteilung wird klar, unklar, klar, unklar, ganz klar und dann siehst du wieder dieses Eichhörnchen vor dir und vielleicht klickst du dich danach auf Lana Lux ihren persönlichen Instagramaccount oder direkt zu eva_and_her-demons und hast Rede- oder Schweigebedarf oder beides.
Ich habe erst mal ganz schön lange über das Gelesene nachgedacht und verarbeitet, in welche vergiftete Mutter-Tochter-Beziehung ich dahinein geraten bin. Gleichzeitig war ich dankbar, dass ich nie solche Erfahrungen machen musste. Heftig…puh…
Mutter-Tochter-Beziehung
Anschließend habe ich ein paar Worte mit Autorin Lana Lux gewechselt. Überwiegend habe ich den Redebedarf aber mit Kerstin vom Blog Glitzerdings gestillt. Wir haben über die Dreh- und Angelpunkte im Roman gesprochen und festgestellt, dass wir schon eine Art Voyeure sind, da wir beide durch die über 300 Seiten durchgehastet sind. Wir konnten uns nicht bremsen, wollten die wahren Geschichten von Alisa und Tanya und vor allem ihre Lebensrollen kennen. Das Cover haben wir analysiert, welches aus unserer Sicht perfekt passt! In der Buchhandlung sollte es natürlich weder bei Forstwirtschaft, noch bei Unterhaltung stehen. Ich (Lana auch ;-)) bin für die erste Reihe im Schaufenster, da das Thema laut werden muss.
„Jägerin und Sammlerin“ (aufbau) ist ein schonungsloses, psychisches und auch physisches Familiendrama, das Spuren hinterlässt und tief unter den menschlichen Eichhörnchenpelz blicken lässt. Die zwei Frauen werden eindringlich beschrieben und die beiden zerstörerischen Geschichten gehen sehr nahe. Ein Emotionshammer und ein Thema, welches mehr Aufmerksamkeit braucht. Über gespaltene Beziehungen, jeglicher Geschlechtskonstellationen und dem krankhaften Schrei nach Liebe in Verbindung mit Magersucht/Bulimie wird viel zu wenig berichtet.
Ana und Mia
„Ana ist ein Kosename für Anorexia nervosa und Mia für Bulimia nervosa. Sie hingen gern zusammen ab. Ana war definitiv die beliebtere der beiden Dämonen. Dafür war Mia dominanter und verdrängte Ana häufig.“ (Seite 74)
Stimmt es, dass Liebe und Schmerz oft beieinanderliegen? Lana Lux erzählt, was es bedeutet, wenn die besten Freundinnen die Namen Ana und Mia tragen, was zerbrechen kann, wenn man in jungen Jahren in ein anderes Land kommt und sie lässt keinen stummen, sondern einen lauten Schrei nach Liebe, aber auch viel Kraft und eigene Wege frei.
Schmerzt, macht wütend und hilft!