Junge mit schwarzem Hahn ~ Stefanie vor Schulte

Wenn die Welt gerade ein Buch braucht, dann ist es „Junge mit schwarzem Hahn“ (Diogenes) von Stefanie vor Schulte! Und das braucht die Welt wirklich ganz dringend, denn es holt uns aus dem Hier und Jetzt und bringt uns völlig raus aus unserer derzeitigen Lage, Stimmung und Realität. Es entführt, berauscht und bewegt. Vor Schulte katapultiert uns in ein ganz außergewöhnliches Märchen mit natürlich gewöhnlichen Elementen. Der schwarze Hahn aber ist neu und ein so klares und kluges Kind, den elfjährigen Martin, findet man selten in der derzeitigen Literaturlandschaft.

Junge mit schwarzem Hahn

Der Junge mit schwarzem Hahn trägt den Namen Martin und er hat tatsächlich einen schwarzen Hahn bei sich. Er ist sein Rettungsanker, seine Familie, denn nur er und der Hahn haben überlebt. Seine Mutter und seine Geschwister sind tot, der Vater war es. Ein schlimmes Massaker, aus dem er klar und rein hervorgegangen ist. Martin hat nur den Hahn und jeder Tag könnte sein Letzter sein. Er stellt sich dem Leben und versucht zu überleben. Er ist ein junger Kämpfertyp, ein elfjähriges Kind mit starkem Überlebenswillen.

„Und Martin denkt sich, ja, das passt, weil es nicht passt und ebenso schief ist wie der Rest dieser verdammten Welt.“ (Seite 146)

Es ist der Maler, der ins Dorf kommt, dem er sich anschließen möchte. Raus in die Welt, weg von den grausigen Dorfbewohnern, leider auch von Franzi. Martin hat es nicht leicht, sich zwischen den gefühlskalten Menschen zu behaupten und es atmet sich schwer in der pestverseuchten Luft. Auch der Krieg ist noch zu spüren und Menschlichkeit und ein herzliches Miteinander sind so abwesend wie die Sonne in der Nacht. Doch der Hahn beschützt, der sprechende Hahn wärmt und er lässt sein Herz rein sein und in ihm die Hoffnung und die Liebe keimen.

Schwarze Reiter

Martin möchte nicht abstumpfen, er möchte retten, aber zuerst muss er sich auf die Suche begeben. Auf die Suche nach dem entführten Mädchen, er will den schwarzen Reitern ins Gesicht sehen und die Wahrheit erfahren.

Junge mit schwarzem Hahn ~ Stefanie vor Schulte

Es sind die Sätze von vor Schulte, die sich tief in die Haut graben, es sind die ungewöhnlichen Figuren, ein kleiner Junge und ein Hahn, die faszinieren. Märchenstimmung über 224 Seiten, Sätze wie Peitschenhiebe und trotz viel Dunkelheit ein kleines Licht aus Liebe und Hoffnung. Am liebsten würde ich sämtliche Stellen zitieren, laut vorlesen, selbst darin baden. Es ist kaum auszudrücken, wie intensiv vor Schulte mit ganz wenigen Worten Martin selbst beschreibt und wie er mit den Augen der Dorfbewohner gesehen wird.

Gänsehautmomente

Vor Schulte errichtet mit ihren Worten vor unseren Augen eine Welt, durch die wir beim Lesen selbst schreiten. Sie verbildlicht nicht nur, sie umhüllt uns, nein sie wickelt uns in ihre Atmosphäre. Unheimliche und schaurige Gänsehautmomente lauern zwischen den Seiten und machen sie so unglaublich magisch, da sie nie hoffnungslos sind. Ein aufregender und lebensbedrohlicher Balanceakt, der es unmöglich macht, die Hände vor die Augen zu halten, da eine Hand den Roman, die andere Hand die von Martin hält. Eine spannende Suche, die für langes Luftanhalten sorgt. Sprachlich so wundervoll klar wie Martins Charakter und dennoch hat es viele harte Kanten. Es ist laut, auch leise, es schmerzt, ist voller Liebe und es ist schlimm, hart und grauenvoll. Dafür aber auch mutig, stark und so verdammt bejahend. Kurze, gehaltvolle Sätze machen das literarische Glück perfekt und sorgen für emotionale Ausbrüche.

Märchenstimmung

Ich könnte immer weiter über das neuartige Märchen mit altbewährten Elementen schwärmen, da ich völlig verzaubert bin und wirklich jedes Wort genossen habe. Keine Feder kann ich dem Roman ausreißen, einzig das Cover schreckt mich immer noch etwas ab. Es gruselt mich, aber auch das könnte zugegebenermaßen nicht passender sein.

Wer von uns Leser:innen also glaubt, sein literarisches Jahreshighlight bereits gefunden zu haben, hat scheinbar vor Schultes Roman noch nicht gelesen. Es tut mir leid, dass ich das so sagen muss, aber ich habe keine Lust mir anhören zu müssen, dass ich eine Buchempfehlung unterschlagen hätte. Also greifen Sie zu und lassen sie sich ein eine mystische Welt entführen, die nicht direkt an unsere grenzt!


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