Picasso – eine Liebe
Ich (Lesebienchen) gebe zu, ich bin eigentlich kein Leser, der nach Buchtitel auswählt. Tolle Cover wecken mein Interesse und natürlich der ein oder andere berühmte Autorenname, doch ein Titel hat mich bisher noch nie dazu bewogen, ein Buch sofort lesen zu wollen.
Und dann eines Abends am Telefon hörte ich die Frage: „Möchtest du das Buch „Madame Picasso“ lesen?“
Ohne den Autor zu kennen oder das Cover zu sehen, entschied ich mich sofort, das Buch zu lesen, denn ein Name im Titel barg eine ungemeine Anziehungskraft in sich: Picasso.
Seit jeher interessiert mich dieser Ausnahmekünstler und zwar nicht, weil ich mich mit seiner kubistischen Malweise so sehr identifizieren könnte, sondern gerade weil sie mir sehr fremd ist. Ich bin Realistin und hab es gern, wenn ein Baum auch nach Baum aussieht und dennoch fasziniert mich dieser abstrakte Ansatz, die Wirklichkeit darzustellen. Keine Frage also, das Buch musste ich lesen, um mehr zu erfahren über den Maler, sein Leben und seine zwei Leidenschaften: die Malerei und die Liebe.
„Madame Picasso“ (Aufbau Verlag) ist das Erstlingswerk der Autorin Anne Girard und erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem jungen aufstrebenden Künstler Pablo Picasso und Eva Gouel im Paris Anfang des 20. Jahrhunderts. Geschickt verwebt die Autorin dabei Wirklichkeit und Fiktion und spielt mit ihrer neu erschaffenen Realität. So nennt sich die junge Eva, die gerade erst vom Land nach Paris gekommen ist, um mehr aus ihrem Leben zu machen als nur zu heiraten, „Marcelle Humbert“, um französischer zu klingen. In der Realität wiederum verhielt es sich genau andersherum, Marcelle Humbert wurde von Picasso Eva Gouel genannt.
Die Liebesgeschichte entwickelt sich zwischen beiden sehr langsam, da Picasso selbst noch in einer Beziehung steckte. So liegt der Fokus im Roman nicht von Beginn an auf beiden als Liebespaar, sondern vielmehr auf den Einzelpersonen und ihrem Schicksal in Paris. An Picassos und Evas Seite entdeckt der Leser ein faszinierendes avantgardistisches Paris des 20. Jahrhunderts mit dem berühmten Künstlersalon der Gertrude Stein, die eine Förderin Picassos war. Man taucht ein in die leicht verruchte Welt des Moulin Rouge und verfolgt Evas dortige Karriere als Näherin. Und irgendwann ist er da der magische Moment, der erste Blick zwischen beiden, der für beide alles beinhaltet.
„Sie würde seine Muse werden, seine Madonna, seine einzige Geliebte.“ (S. 203)
Die Liebe zwischen beiden ist magisch, leidenschaftlich, aber auch sehr verletzlich, denn beide tragen tiefe Ängste mit sich. So stellt sich Eva die Frage, ob sie als „einfaches Mädchen vom Land“ den Ansprüchen des großen Meisters genügen kann, während Picasso mit Dämonen zu kämpfen hat, die ihn bereits sein ganzes Leben verfolgen.
Betrachtet man sich Picassos Leben, so erscheint es auf den ersten Blick recht ungewöhnlich, gerade diese Liebesgeschichte zu einem Roman zu verweben, denn Picasso hatte viele Geliebte. Die Autorin selbst hat auf diese Frage eine mehr als plausible Antwort:
„Als sie sich begegneten, war Picasso jung und stand an der Schwelle zum Ruhm[…]. Ich glaube, er erkannte in Evas Konzentration auf das, was sie erreichen wollte, einen stabilisierenden Einfluss, was extrem attraktiv für ihn war. Picasso brauchte eine Frau, die ihn dazu bringen konnte, treu sein zu wollen, und Eva war diese Frau. Er war bereit, sich für die wahre Liebe komplett zu ändern, und genau das tat er bei ihr.“ (S. 474)
Anne Girard gelingt es, die Magie dieser wahren Liebe einzufangen, ohne kitschig zu werden. Beide Hauptpersonen erweckt sie gekonnt zum Leben, ohne zu weit von der Realität abzuweichen, es bleibt der Künstler Picasso, dessen Leben sie illustriert.
Mit klaren und dennoch poetischen Sätzen fängt sie die Atmosphäre in dieser brodelnden Kunstmetropole Paris ein und gibt Beziehung zwischen Picasso und Eva einen farbenprächtigen Hintergrund.
Wer sich für das Paris des 20. Jahrhunderts interessiert und einen großartigen Künstler auch einmal „privat“ kennen lernen möchte, dem sei „Madame Picasso“ empfohlen. Es ist ein Werk, bei dem man eine aufregende Reise an der Seite Evas unternimmt, erstaunliche Menschen kennenlernt, der Liebe begegnet und nebenbei noch etwas vom Kubismus lernt und begreift, dass diese Art des Malens nur eine weitere Sichtweise auf die Wirklichkeit ist und gar nicht so abstrakt erscheint, wenn man sieht, wie viele Emotionen Picassos in seine Bilder eingeflossen sind.
Euer Lesebienchen