Mein Opa heißt zwar nicht Otto, ist kein Jude, nicht kauzig und stammt auch nicht aus Rumänien – trotzdem ist er mit großer Freude mein Buchfotomodell. Und natürlich wollte er zurecht wissen, was ich da lese.
Ist das Cover nicht grandios? Absolute Stimmigkeit, genau wie der Name des Protagonisten – ein Palindrom. Da auf den ersten Blick der Debütroman der Münchner Autorin Dana von Suffron recht rund erscheint, birgt er im inneren viele Ecken und Kanten – ganz vorn natürlich: Otto.
Mal entfernte er sich ein Stück von diesem lebenden Zustand, dann erinnerte er sich an das, was ihn am Leben hielt: Er schlich sich wieder an, an das Leben, und an mich schlich er sich an… (Seite 9)
Sind das nicht herrliche Worte? Ich musste gleich zu Beginn recht oft grinsen, über besagten Otto, auch wenn er für seine Töchter immer mehr zur Belastung wird. Timna und Babi haben es mit ihrem Vater nicht wirklich leicht, erst recht nicht, als er zum Pflegefall wird. Er fordert die Töchter so gut er kann und verlangt viel Aufmerksamkeit, ohne sich selbst zurückzunehmen. Er teilt aus, wie er es für richtig hält und kann, trotz Schwäche und Krankheit sein Mundwerk immer noch so steuern, dass sein Gegenüber nicht nur zum Lachen zu Mute ist. Otto ist das Familienoberhaupt, der Ingenieur, der Herr des Hauses, der starke Stamm.
Otto
Ich war seine Lieblingstochter, mich beleidigte er nur selten, während er meine Schwester häufig nur mit Arschloch ansprach. (Seite 10)
Otto hat nicht nur Humor und gerade diese anstrengende und komplizierte Seite ist es, die seinem Umfeld zusetzt. Doch er kann nicht vom Leben lassen und teilt munter aus. Gerade Erzählerin Timna muss viel ertragen, lebt aber recht geschickt mit dem Emotionsstrudel aus Liebe und Hass zu ihrem Vater. Der schwarze Humor ist es, aber eben auch dieser nicht kategorisierbare Otto mit seinem erlebnisreichen Leben, der uns Leser so begeistert.
Unsere Familie war eher ein Klumpen Geschichten. (Seite 88)
Das Zitat passt perfekt, aus meiner Sicht fühlt sich „Otto“ (KiWi) anfangs wie ein Roman an, entpuppt sich aber mit der Zeit als eine Sammlung von Geschichten. Was mich beim Lesen tatsächlich erfreute, da ich öfters eine Pause einlegen musste. Es war recht egal, bei welchem Kapitel ich weiter las, so zumindest mein Gefühl.
Es ist traurig, alt zu werden, dachte ich, aber noch trauriger ist es, wenn der Körper schneller altert als die Seele und ihr davonrennt oder auch andersherum; nie passten Seele und Körper zusammen. (Seite 208)
Lebensgeschichten
Zu Beginn des Romans holt uns Timna ab, zeigt uns ihr Leben und bringt uns ihrem Vater Otto immer näher. Die ersten Seiten habe ich regelrecht verschlungen, Timna ins Herz geschlossen. Jeder der von uns bereits einige Abschiedserfahrungen gesammelt und so einige Stunden in Krankenhäusern verbracht hat, findet sich wieder. So einige Male habe ich mich dabei erwischt, wie meine Gedanken zu diesen Zeiten zurückgekehrt sind. Vor allem habe ich an die kleine Omi Olga gedacht, ebenfalls aus Siebenbürgen stammend, sogar namentlich im Roman vorkommend. Gänsehaut!
Dann lesen wir uns tiefer und tiefer in Ottos Leben. Autorin Diana von Suffrin stellt vor allem zum Ende des Buches die Geschichten von ihm, Otto, seine Vergangenheit, seine Lebenshöhepunkte in den Mittelpunkt und rückt Timnas Gegenwart zurück.
Am Ende musste ich dann ziemlich schlucken und frage mich, ob es jetzt wirklich so ist, wie es ist? Richtig nachvollziehen kann ich es nicht und trotzdem passt es. Klingt komisch – stimmt!