Willkommen ~ Yi-seol Kim

Willkommen in der Welt der Prostitution – so wollte ich eigentlich nicht mit der Vorstellung des Romans von der koreanischen Autorin Yi-seol Kim starten. Dennoch habe ich mich für diese ersten Worte entschieden, um gleich zu verdeutlichen, dass es sich um KEIN Wohlfühlbuch handelt, sondern vorwegnehmen, das sehr harte Lebensausschnitte zwischen den 176 Seiten stecken. Diese haben es in sich, rufen eventuelle Übelkeitsgefühle hervor und müssen wirklich gut verdaut werden. Und doch: lesen, lesen, lesen!

Willkommen

Natürlich habe ich mich ganz bewusst darauf eingelassen, dass mir der Roman an die Lesenieren gehen wird. Schon oft habe ich Lobeshymnen über den cass-Verlag gehört – vorwiegend von meiner Lieblingsbuchhändlerin Annaluise Erler und von Daniel, bekannt auf Instagram als diek_aiserin. Er hat gefühlt jedes Buch aus dem Hause cass gelesen und sich mit mir über das Werk von Autorin Yi-seol Kim ausgetauscht. Meine Neugierde war also geweckt und mir standen gleich zwei Premieren bevor: Das erste cass-Buch, das erste Buch aus der Feder einer koreanischen Autorin, übersetzt von Ki-Hang Lee.

Meist sind es Schicksalsschläge, die das Leben in Schieflagen bringen. Aber nicht immer, denn es ist Yunyeongs Mann, der statt vorwärtszustreben, auf der Stelle bleibt. Das junge, sozialschwache Ehepaar stand kurz davor, zu Geld zu kommen und endlich ein besseres Leben zu führen. Die bestandene Beamtenprüfung – der Schlüssel zum harmonischen Familienleben. Um ihrem Mann Jeongman den Rücken freizuhalten und um existieren zu können, lässt Yunyeong die Stadt hinter sich und wird in einem ländlichen Restaurant Willkommen geheißen. Als Kellnerin beginnt sie in tagesfüllenden Schichten zu schuften und nimmt in Kauf, dass ihr Mann den ganzen Tag zum Lernen zur Verfügung hat. Sie erträgt die schnelle Abnabelung von ihrer Tochter und dass sie diese kaum mehr zu Gesicht bekommt. Yunyeong wird zur Versorgerin der Familie.

Private Räume

Yunyeong opfert sich völlig auf, um genügend Geld für ihre Familie zu erarbeiten und bekommt erst spät mit, dass es im Restaurant nicht nur die Möglichkeit gibt, gut zu speisen, sondern das es über private Räume verfügt, in diese sich die Stammkundschaft gern zurückzieht. Nach und nach wird Yunyeong in die Gepflogenheiten eingeführt und arbeitet nicht nur als Kellnerin, sondern auch als Prostituierte. Das Geld ist wichtig für sie und sie gewöhnt sich schnell an ihre neuen Aufgaben. Ihr Mann beginnt sich währenddessen auszuruhen und verharrt auf der Stelle und ihre Schwester meldet sich, um erneut um finanzielle Unterstützung zu flehen …

Willkommen ~ Yi-seol Kim

Autorin Yi-seol Kim verlangte mir wirklich einiges beim Lesen ab. Gleichzeitig konnte ich Yunyeong aber nicht alleine lassen. Gefühlt war ich die einzige Konstante an ihrer Seite, neben ihrem Job, der inzwischen fast den ganzen Tag ausfüllte. Trotz des Geldes bricht das Gerüst immer mehr zusammen und der Ausweg aus dem sozialen Elend wird durch ihren Mann, ihre Mutter, ihre Schwester, ihre komplette Familie zugeschüttet.

Yunyeong wird die Hoffnung und der Rückhalt geraubt und der Ausbruch aus dem Lebenshamsterrad erschwert. Sie tut alles dafür, um das Rad des Lebens in die richtige Richtung zu lenken.

Lebenshamsterrad

Tatsächlich hat mich die lesende Neugierde zwischen die Seiten getrieben. Die Neugierde, über das koreanische Leben zu lesen, was Yunyeong wirklich passiert ist, ob es ihr gelingt, aus den Fängen der Armut zu entkommen. Das mir diese wenigen Seiten so zusetzen werden und ich mich in einen regelrechten Teufelskreis begab, ahnte ich nicht. Zumindest habe ich nicht mit dieser Intensität gerechnet und mit der Stärke der Protagonistin. Es gibt viele Romane, die von richtig starken Frauen handeln und „Willkommen“ gehört dazu. Obwohl ich mich ekelte, obwohl ich dauerhaft ein mulmiges Gefühl in mir hatte, habe ich die Seiten inhaliert und viel dazu gelernt.

Und ja, ich habe viel Mitleid empfunden, sehr viel Wut und es bis jetzt nicht verkraftet, dass ich Yunyeong nicht glücklich erleben konnte. Aber der Hoffnungsschimmer bleibt, auch wenn sich die letzten zehn Seiten anfühlten, wie der Ko-Schlag eines Boxers.


literatwo_banner

2 Comments on Willkommen ~ Yi-seol Kim

  1. Schöne Rezension, werde ich mir auch mal genauer anschauen. Bei Büchern aus dem Cass-Verlag habe ich bisher eigentlich immer richtig gelegen.

    Ein Hinweis: Der Link zum Webshop am Ende des Artikels zeigt auf ein anderes Buch.

    • Lieber T., ich danke dir für deinen Kommentar mit dem Hinweis – habe ich natürlich gleich mal korrigiert.
      Danke auch für den Austausch via Instagram.

      Hab noch einen schönen Sonntag. Bianca.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert