Auftauchen ~ Jennifer Haigh

Aufgetaucht. Ich bin oben, angekommen. Die Sonne scheint auf meine Haut, mir wird warm. Ich komme von ganz tief unten, in meinen Haaren ist Sand, Algen hängen mir im Gesicht und mein Mund ist noch voller Wasser.

Immer noch auf dem Meeresgrund, ganz tief unten drin in einem strudeligen Wirrwarr, befinden sich noch immer Gwen und ihr ganzes familiäres Umfeld, mehrere Generationen.

Wie beim langsamen Auftauchen schlängeln sich die Ereignisse rund um die Familie. Die Zweifel sind groß, die Geheimnisse untereinander und voreinander da, das Vertrauen zerrissen, die Liebe erscheint fleckenartig. Jeder lebt für sich in seiner eigenen kleinen Welt, die Kommunikation ist nur fetzenhaft möglich und daran bröckelt die Familie vor sich hin.

Auftauchen

Als Optimist sag ich mir oft: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtblick her. Doch wo ist der im Buch? Es geht tiefer, tiefer und tiefer. Selbst als ich schon auf dem Grund angekommen bin, fing der Sand an nachzugeben und es ging noch ein Stück tiefer. Dennoch schaffen es einige Sonnenstrahlen bis zum Grund, der Lichtblick scheint nicht verloren.

Anfangs gelingt es nicht gleich in das Buch einzutauchen, viele Charaktere stürmen auf den Leser ein. Ich habe hinter jeder Buchseite gelauert, um endlich den Weg mit Gwen, die von Geburt an unter dem Turner Syndrom leidet, gemeinsam zu bestreiten. Doch nicht Gwen steht im Mittelpunkt, denn ihre Krankheit ist für sie vertretbar und absolut lebensfähig, doch ihr Umfeld scheint die Probleme zu haben, sie ist eher Randfigur und hat die helfende Hand.

Auftauchen ~ Jennifer Haigh

Aber gerade das macht diesen Roman von Jennifer Haigh zum Erlebnis, denn der Leser wir zum Andersdenken animiert. Sind wir nicht oftmals diejenigen die denken, es geht uns gut und den anderen Menschen geht es schlecht, nur weil sie körperlich etwas anders sind?

Eine Leseerfahrung in der Lebensmitte der großen Familie um Gwen, mehr möchte ich einfach nicht verraten. Jeder wird diese Familiengeschichte anders lesen und seinen eigenen Hauptprotagonisten suchen und finden.

Das Meer ist tief, der Grund sandig, es strudelt oft zwischendrin, es schwimmen Algen im Sichtfeld umher, der Druck auf den Ohren ist stark, aber wenn man hochblickt, sieht man die sonnendurchflutete Oberfläche und es ist zu schaffen. Zu schaffen, aufzutauchen.

Niemandem ist geholfen, wenn man alles für sich behält. Sprecht einfach alles laut aus. Mann muss es hören können.

Ich liebe dich.
Verlass mich nicht.
Mutter, ich bin.
Vater, ich bin.
Ja, ich bin.

„Auftauchen“ ~ Jennifer Haigh / Droemer Knaur

Eure
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