Den Sommer kannst du auch nicht aufhalten ~ Dimitri Verhulst

Der Titel „Den Sommer kannst du auch nicht aufhalten“ (Oktaven) hat mich zum Buch greifen lassen. Zudem kam mir der Name des Autors, Dimitri Verhulst, so bekannt vor und doch habe ich keines seiner Bücher bisher gelesen.

Sein Roman „Die Beschissenheit der Dinge“ war ein Bestseller und wurde verfilmt, Verhulst gilt als einer der besten flämischen Schriftsteller, so verrät es die Beschreibung des Autors auf dem Umschlag. Das meine Erwartungen entsprechend hoch waren, ist nicht verwunderlich.

Was ich dann erlebte, hat mich ziemlich verstört und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich den Roman akzeptieren kann oder besser zerstören sollte.

Dabei ist der Plot in wenigen Worten erzählt und einfach wunderschön. Zumindest finde ich das, denn Pierre möchte dem geistig behinderten Sonny etwas besonderes zum 16. Geburtstag schenken. Ganz ohne Vorbereitung entführt er den auf dem Rollstuhl sitzenden Jungen in die Provence, auf einen Berg. Er zeigt ihm von dort die Orte und Gegenden, die er damals mit seiner Mutter besuchte, er verrät intime Geheimnisse und spricht ausschweifend von der Liebe und ihren Facetten. Er blättert sein Leben auf…

Den Sommer – nicht aufhalten…

Obwohl Sonny zu keiner Regung fähig ist, behandelt Pierre ihn, wie einen engen Vertrauten und schüttet sein komplettes Herz aus. Er reist mit ihm durch seine letzten Lebensjahre, spricht ungeschönt aus, was er denkt und bezieht Sonny mit ein. Dabei trinkt er Wein, von dem er auch Sonny kosten lässt, schließlich ist er 16 und Pierre raucht ziemlich viele Zigaretten.

Doch wollte er Sonny das alles wirklich so sagen?

„Liebe lässt sich in keinen Lebensplan pressen, nicht steuern.“ (Seite 79)

Den Sommer kannst du auch nicht aufhalten ~ Dimitri Verhulst

Gefühlvoll und provokant – mal überbordend, mal frech im Ton – so steht es auf der Rückseite des Buches. Da stimme ich zu, allerdings empfinde ich stärker.

„Zu guter Letzt leiden wir alle an uns selbst.“ (Seite 9)

Dimitri Verhulst traut sich an ein Thema, welches mir bisher in der Form noch nie in einem Roman begegnet ist. Sicher fallen mir Menschen auf dem Rollstuhl ein, zum Beispiel bei „Ein ganzes halbes Jahr“ oder Bücher in denen die Charaktere mit Einschränkungen leben müssen, wie zum Beispiel „Freak City„. Sonny allerdings ist geistig behindert und zu kaum einer Regung möglich – er braucht bei 100% Hilfe, kann nicht sprechen, keine Emotionen zeigen.

Unangenehmes Herzklopfen

Das sich Pierre nur eingeschränkt Gedanken darum gemacht hat, wie er Sonny tagsüber verpflegen und betreuen muss, habe ich versucht zu schlucken, da die Entführung aus tiefstem Herzen kam und seine Geburtstagsüberraschung sein sollte. Ich akzeptierte diese Tatsache nur, weil dem Jungen nichts passiert ist. Das unangenehme Herzklopfen aus Angst und Empörung über so viel Naivität blieb mir aber erhalten.

Das Protagonist Pierre vom Vögeln spricht und andere obszöne Wörter verwendet, kann ich nachvollziehen und auch hinnehmen. Das im Buch allerdings Sätze stehen wie Gibt es in deiner Einrichtung ein Mädchen, das du richtig gut findest, weil sie so schön sinnlich sabbert (Seite 77) und Sonny mit einer Topfpflanze gleich gesetzt wird, treibt mir den Hass und die Übelkeit in den Mund. Auch der Satz Der Sex war technisch vom Feinsten, alle Huren sollten im vierten Monat schwanger sein (Seite 131) bringt mich aus der Fassung. Was soll das bitte? Geht´s noch? Mir bleiben die Worte im Halse stecken.

Zum einen ist der Roman so liebevoll geschrieben, Pierre habe ich zu Beginn schnell ins Herz geschlossen und zum anderen kommen so derbe Sätze im Buch vor, die mich wütend und traurig machen. Das möchte ich nicht lesen, denn das ist nicht frech im Ton oder überbordend – das ist unpassend und unzumutbar. Darf ich darauf hoffen, dass hier die „Übersetzung nicht gelungen ist“ oder sind das tatsächlich Verhulsts Worte?

Der Roman hätte ein Highlight werden können – er lässt mich zerrissen und verstört zurück.

Eure
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