Unser Sommer neigt sich dem Ende zu, es wird Herbst. Ein Sommer aus Stahl ist genau für diese Jahreszeit gemacht, finde ich, und ich habe jede Seite des Buches genossen. Mehr möchte ich nicht dazu sagen, außer: lasst es auf euch wirken, taucht vor allem tief in das Buch ein, öffnet euch für eine Ladung von Emotionen und macht euch für diesen gewaltigen Roman bereit. Ein Buch was ich nie vergessen werde, eine literatwoische Empfehlung.
Sommerlektüre für den Strand? Eher nicht, aber dafür ein richtiger Sommer aus Stahl. Ein Geflecht so dick wie ein Stahlband verbindet die Freundinnen Anna und Francesca, aber es scheint dünner zu werden. Der Sommer streckt seine Fühler aus und bringt nicht nur ihr jahreslang dicker gewordenes Stahlband zum Schmelzen. Die Pubertät verändert nicht nur die Körper der beiden fast 14-jährigen, sondern auch ihre Denkweisen und Gefühlswelten.
Beide Mädchen haben kein leichtes Leben. Ihre Familien sind zerrüttet, beide sind zeitig mit der Härte des Lebens konfrontiert worden und die Mietskasernen in denen sie leben, nah des großen Stahlwerkes Lucchini, sind kein wirklich angenehmes Wohnviertel. Anna sieht ihren kriminellen Vater Arturo kaum, dafür ist ihr großer Bruder Alessio etwas Vaterersatz. Ihre Mutter Sandra will in die Politik und ist eine gebildete Frau, muss aber fast alles alleine stemmen. Der Haushalt, die Kinder und vor allem dann, wenn es Probleme gibt, ist sie gefragt, denn dann ist ihr Ehemann vorerst über alle Berge und meldet sich erst zurück, wenn er es für richtig hält.
Francesca hat ihren Vater Enrico immer um sich, doch am liebsten wünschte sie sich, er wäre für immer aus ihrem und dem Leben ihrer Mutter verschwunden. Ihre Mutter Rosie hat keine Freunde, ist Hausfrau und den ganzen Tag daheim und ihr Mann, der im großen Stahlwerk arbeitet, ist unerträglich. Wenn er daheim ist, beobachtet er seine Tochter, wie sie mit Anna am Strand tobt, und rastet aus, wenn er sie mit den Jungen zusammen sieht. Er wird handgreiflich, nicht nur Rosie gegenüber, sondern er schlägt auch Francesca grün und blau. Francesca hasst ihn und auch zu ihren männlichen Freunden geht sie eher auf Abstand, ihre Gefühle ziehen sie zu Anna, mit der sie ihr ganzes Leben lang über alles reden konnte und ihre Sorgen teilt. Mit ihr kann sie leben, Spaß haben und sich wohl fühlen.
Alessio ist ein liebenswerter Bruder, doch sein Leben ist nicht so normal, wie es sein sollte. Sein Freundeskreis ist überwiegend kriminell, treibt sich auf Partys oder in Rotlichtlokalen herum und die Drogen gehören immer dazu. Aber auch Lisa und Donata, die hässliche Außenseiterin und ihre behinderte Schwester aus der benachbarten Mietskaserne, haben Probleme und Wunschgedanken, wenn sie die von außen heile heitere Welt der beiden Mädchen Anna und Francesca beobachten.
Dann tritt Mattie ins Leben seines besten Kumpels Alessio, er war drei Jahre komplett verschwunden aus Piombino, denn er musste damals fliehen. Als Mattie Anna begegnet, die er noch als 9-jährige in Erinnerung hat, kommen bei ihr wie auch bei ihm besondere Gefühle ans Tageslicht. Liebe auf den ersten Blick. Und dann gibt es ein großes Reißen, die Stahlbänder werden flüssig, einige zerbrechen sofort und nach der großen Rollschuhparty gehen alle Wege in unterschiedliche Richtungen. Die Ereignisse überschlagen sich, drehen und wenden sich, nichts wird wohl wieder so sein, wie es einmal war.
„Die Orte formen dich. Die Orte werden dir fremd.“
Silvia Avallone erzählt in „Ein Sommer aus Stahl“ die Geschichte zweier Mädchen und ihrer Familien – macht einen großen Spagat zwischen Freiheit und Sklaverei, wie Francesca wohl sagen würde. Das gefangene Dasein in der Hülle der Familie und die große ersehnte Freiheit sind die Themen des Romans. Die Autorin beschreibt gefühlvoll, erotisch und auch schmerzhaft, untermalt das Italien ihrer Protagonisten mit bildreichen Worten. Ein Buch mit einfachen treffenden Worten, das eine große Anziehungskraft hat. Gewalt, Hass, Dunkelheit, aber auch Glück, Liebe und die Helligkeit wird von Silvia Avallone beleuchtet und so facettenreich verpackt, das man wissen möchte, wie die Beziehungen weiter verlaufen oder wo und ob sie gekappt werden.
Der Drahtseilakt zwischen menschlichen Bindungen und deren Emotionen, eingeflochten in das italienische Land mit seinen Sonnen- und Schattenseiten.
Ein Herzensbuch, das einen gewaltigen Gefühlsstrudel beim Lesen erzeugt, den Leser zum in den Himmel Aufblicken bringt und sein eigenes Leben reflektieren lässt.
„Einer genügt, ein einziger Fehler im System, eine einzige Unachtsamkeit.“
Sommer, Sonne, Heiterkeit, Freiheit, glückliches Leben oder doch jede Menge Stahl, die Silvia Avallone durch ihr Buch verarbeitet wie die Arbeiter aus dem Werk Lucchini.
Schöner hättest du den Stahlseilakt nicht beschreiben können – deine Bilder sprechen eine metaphorisch klare Sprache zum Buch. Wir haben so oft darüber gesprochen und literatwoisch hast du alles auf den Punkt gebracht, was auch mir am Herzen lag zu diesem Roman.