Kann man in einem Schrank wohnen? Das habe ich kurzerhand, zumindest für Fotozwecke ausprobiert. Wären die Regalböden und die Trennwand nicht, wäre das für mich tatsächlich möglich. Ich könnte zwar meine Beine nicht ausstrecken, aber ich könnte mich ein wenig zusammenrollen und eine Nacht darin verbringen. Unbequem, aber machbar. Doch lohnt das Leben im Schrank?
Die 30jährige Frau vom Buchcover wird nie von ihren Mitmenschen beim Namen genannt, was sie selbst recht unsichtbar macht. Das möchte sie auch so, denn sie versucht ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen, einen Neuanfang in Prag zu versuchen. Bei Freundin Jana, die ihren Eisprung hat und nun ständig am Karnickeln ist, wie sie den ständigen Sex mit ihrem Freund betitelt, will sie nicht bleiben.
Leben im Schrank
Bei ihrer Schwester und den wissbegierigen Nichten ganz bestimmt auch nicht und zu ihrer Mutter will sie genauso wenig, denn diese denkt, dass sie jetzt bei der Bank arbeitet und schwer beschäftigt ist.
Alles Fassade, alles Lüge – sie lebt nun im Hinterhof ihrer Schwester im ausrangierten Schrank ihrer Schwester und hofft, dass sie nicht ertappt wird. Sie ist auf die Almosen vom Vietnamesen aus dem Krämerladen angewiesen, um nicht zu verhungern und um die Morgentoilette zu erledigen und versucht nun täglich, den Weg auf die normale Lebensbahn zu finden. Ein verzweifeltes, recht unbequemes Versteckspiel beginnt, was nicht nur von der Protagonistin viel fordert…
Wir Leser nehmen an ihrem Weg teil, der sich wie eine langsame Abenteuerfahrt anfühlt, bei der die Streckenlänge und auch die Umgebung unbekannt ist. Die Protagonistin holt uns richtig nah zu sich in den Schrank und lässt uns ihre emotionale Angeschlagenheit fühlen. Erst als wir vollständig in ihren neuen Lebensalltag integriert sind, werden wir mit ihrem Damals konfrontiert.
Unbequeme Herausforderung
Wir erfahren von Lale und Dirk, erleben eine aufrüttelnde Kutschfahrt und wissen Kleinigkeiten von ihm. Hausnachbar Novák taucht mit seinen Tauben auf, wir lesen Emails und kommen immer mehr in den Mittelpunkt des Lebensgewitters. Wie Blitze zwischen den dicken Wolken tauchen die Szenen auf, die nicht immer zu erklären sind.
„Wenn man spürt, dass man lebt, ist man dem Ende am nächsten. Und man will, wenn es dann einmal kommt, dass es das Ende von etwas Erfülltem sein wird.“ (Seite 211)
Tereza Semotamová (Voland & Quist) ist es recht schnell gelungen, mich in den Schrank zu ziehen. Ich musste viel lachen, trotz des traurigen Bühnenbildes. Doch vor allem musste ich nach dem leichten Einstieg, schwere Wortbrocken verstehen und auch verdauen. Von Seite zu Seite wird die Schieflage immer bedrohlicher und eine Anpassung aussichtsloser. Die anfangs recht leichte Lektüre entpuppt sich als Herausforderung. Das Lachen wird schwerer, schmeckt bitter, man stößt sich an depressiven Ecken und die Handlungssprünge lassen das Gedankenkarussell ruckartig drehen.
Sicher keine Ferienlektüre, allerdings ein Roman über den man sich austauschen möchte, über den man philosophieren mag!
Liebe Bini, auf dieses Buch bin ich auch schon mal gestoßen, wage mich aber (noch) nicht dran…eben wegen dieser depressiven Story, was du am Ende auch schreibst. Ich hab ein wenig Bedenken, dass mich die Geschichte runterziehen könnte. Ist dem bei dir so gewesen? Liest es sich ansonsten eher schwer oder flüssig. Perfekt für meine literarische Länderreise wäre es zumindest!
Liebste Grüße und Knuddler
Micha
Liebe Micha, ja, die Story ist schon depressiv, in ein Loch hat sie mich allerdings nicht gezogen. Es ist wahrlich keine leichte Lektüre, obwohl sich die ersten Seiten durch die ganze Lockerheit so anfühlen. Am Ende dann kommt die ganze Wucht, die man vorher durch das lustige Grinsen auf dem Gesicht noch zurück gehalten hat. Nicht einfach zu erklären.
Grüße zu dir – Bini
Liebe Bini,
vielleicht muss ich es gelesen haben, um es zu verstehen. Du Schlimme, verführst mich immer so sehr….aber ehrlich, durch dich komm ich auf Bücher, fernab vom normalen Hype, was ich ja sehr begrüße.
Alles liebe und Danke dafür.
Micha