Kintsugi
Richtig, Kintsugi ist japanisch und bedeutet grob übersetzt: Goldreparatur – das Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu reparieren.
Autorin Miku Sophie Kühmel nimmt uns mit in ihre Werkstatt und stellt uns ihre vier Protagonisten vor. Nicht aus Porzellan und doch zart und zerbrechlich, wie wir alle.
Kintsugi wirkt bei mir immer noch nach, aber auf eine ganz ungewohnte Art. Ich bin selbst noch unschlüssig, was der Roman mit mir macht oder sogar gemacht hat. Vielleicht kam er auch zur richtigen Zeit, vielleicht bin ich gerade in dem Modus, selbst auf meine Mitmenschen und mich zu blicken. Während des Lesens habe ich jedenfalls sehr oft an den letzten Urlaub zurückgedacht, an uns, an unsere Sichtweisen, an unser Verhalten. Auch wir waren mit Freunden unterwegs, haben unter einem Dach gelebt und das nicht nur an einem Wochenende, so wie Max, Reik, Tonio & Pega. Allerdings ist bei uns nichts zerbrochen, bis auf ein wenig Porzellan.
Max, Reik, Pega & Tonio
Max und Reik sind seit 20 Jahren ein Paar, länger als Pega Tonios Tochter ist. Pega kann sich wie die Tochter von allen drei Männern fühlen, denn sie haben sie von klein auf begleitet. Die vier sind sich vertraut und an diesem Wochenende scheint all die Vertrautheit einen Riss zu bekommen. Max und Reik haben sich den ruhigen Ort ausgesucht, um ihren Freunden und sich selbst einiges klar zu machen. Es liegen Nebelschwaden auf der Liebe und auf dem Leben, es gibt Wünsche und Hoffnungen und Worte die ausgesprochen werden wollen und sollen…
Tatsächlich ist der Roman auf der Longlist – Deutscher Buchpreis 2019 – zu finden, eine Tatsache, die egal ist, da ich den Roman trotzdem gelesen hätte. Ich habe mich in das Cover verliebt, mich machten die vier Personen neugierig und der goldene Streifen.
„Kintsugi“ (S. Fischer) von Miku Sophie Kühmel strahlt schon vor dem Lesen der ersten Seite so viel Ruhe aus. So eine unaufgeregte, ganz angenehme Ruhe, die auch laut und unbequem ist. Dazu kommt der Erzählrahmen – erst über die vier, dann erzählt jeder selbst und dazwischen immer kurze Gespräche miteinander, und zwar 8 Uhr am Morgen und 8 Uhr am Abend. Die japanischen Kapitelüberschriften nicht zu vergessen, die natürlich nicht unerklärt bleiben. Grandios!
Laute, unbequeme Ruhe
Der Roman gehört eingekuschelt gelesen, nicht am Strand, wie ich es getan habe. Die Worte müssen nach und nach gekostet werden, langsam und intensiv – alle vier Protagonisten möchten das Ohr des Lesers und erzählen, über sich, über die anderen. Sie breiten eigene Gefühle und Ängste aus, feiern die Vergangenheit und lauern die Zukunft an und natürlich umgekehrt. Sie spiegeln sich nicht nur selbst, nicht nur im See.
Vier Kostproben:
Max:
Weil wir zusammen Dinge tun konnten, tun und lassen und wagen. Stürme konnten über uns hinwegziehen und Fluten und Großbrände, und am Ende, wenn der Rauch sich verzog, standen wir immer noch beide da. (Seite 52)
Reik:
Alle sehen in uns so viel. Wir sind ihnen der Beweis, dass es das geben kann, worauf sie alle hoffen, wir werden gern als Beispiel herangezogen in den Beziehungsstreitigkeiten anderer Paare, unangenehmerweise sogar manchmal, während wir dabei mit am Tisch sitzen. Für sie alle bergen wir das eine Geheimnis, den Schlüssel zum Glück und das mag deswegen keiner hinterfragen. (Seite 93)
Tonio:
Ja, es ist schwer mit Reik, oft anstrengend und nicht selten lebensgefährlich, besonders für ihn selbst. In seiner Gegenwart verrückt zu werden ist nicht unwahrscheinlich. Aber diesem silbernen Scheinwerfer, der seine Aufmerksamkeit, sein Blick ist, dem kann sich kaum einer entziehen. (Seite 184)
Pega:
Eigentlich war dieses Haus immer der Tempel des Friedens. (Seite 261)
Gänsehaut & Fieber
Viele heftige Blicke, warmkalte Worte, Gänsehautfieber – vier Leben und am Ende habe ich ein rotes Post-it im Buch kleben, bei Worten, die ich hier nicht schreiben kann. Und dann stellt man fest, dass der Roman so schnell vorbei ist, wie das Wochenende am See, obwohl man sich treiben lassen hat. Die Spuren aber bleiben – die Spuren von Liebe & Leben.
Kein Vergleich mit Max & Reik & Tonio & Pega – aber vier Protagonisten, die mich vor einiger Zeit auch sehr bewegten: Jude & JB & Willem & Malcolm