Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wovon ich zuerst schwärmen und erzählen soll. Von den wundervollen Covern – ich mag alle drei so sehr, sie strahlen so eine Ruhe und Geborgenheit aus. Eine wirkliche Freude fürs Auge und die Seele. Oder von einer wirklich langen und aufschlussreichen Zugfahrt mit dem Northlander durch Kanada – mein Bruder ist stark zugbegeistert und durch seine Leidenschaft bin ich schon einige Strecken mit dem Zug abgefahren, diese hier allerdings noch nicht. Und ich könnte dir gleich zu Beginn verraten, dass ich den neuen Roman von Jocelyne Saucier „Was dir bleibt“ (Insel) sehr gern gelesen habe, dennoch gefallen mir „Ein Leben mehr“ und „Niemals ohne sie“ viel besser.
Was dir bleibt
Bedeutet nicht, dass mir der neue Roman nicht gefällt, aber er ist vom Gefühl her anders. Eine Mischung aus Roadmovie auf Schienen, der Suche nach einer Frau namens Gladys und Jocelyne Saucier schreibt aus der Sicht eines Mannes, aus der Sicht eines Englischlehrers und Zugfanatikers.
Wir lesen uns sozusagen auf eine Reise, die verschiedene Lebensstationen enthält und nach und nach preisgibt, wo sie enden wird. Doch sie zeigt auch, wie viel wir nicht sehen konnten und gibt im Nachgang viele Geheimnisse, vor allem aber Verknüpfungen der Figuren und den Romanrahmen preis. Es wird anfangs keinesfalls langweilig, aber bevor ich weiter erzähle: Bitte einsteigen, der Northlander fährt ab…
Northlander Kanada
…und einmal eingestiegen, gibt es kein Zurück mehr. Gladys will nicht zurück, sie möchte fahren, fahren, fahren, bis sie ihren letzten Atemzug erreicht. Die Nachbarschaft ist entsetzt, dass Gladys verschwunden ist, vor allem weil sie noch nie ohne ihre Tochter verreist ist. Lisana ist ihr Herzstück, zudem ist sie krank und muss beaufsichtigt werden. Doch Gladys ist weg und bleibt auch verschwunden. Der Englischlehrer ist es, der sich auf die Suche macht und ihre Irrfahrt rekonstruieren möchte.
„Wer sollte sich auch für die Geschichte einer Frau interessieren, die aus ihrem Leben verschwindet, einer ganz gewöhnlichen Frau, die weder Groß- noch Untaten vollbracht hat, einer alten Frau obendrein?“ (Seite 8)
Und wir Leser*innen sind dabei und erfahren viel von Gladys Leben, über die Geschichte der Eisenbahn in Kanada, ich sag nur school trains, über die Beziehung zwischen Gladys und ihrer Tochter Lisana und natürlich über den Erzähler selbst.
Dabei erfahren wir, dass der Erzähler nicht immer ganz bei der Sache ist, was den roten Faden seines Schreibens betrifft. Er schweift gern ab, schreibt vorwiegend ungeordnet aus seinen Erinnerungen. Wie ein Zug, der ankommen möchte, das Ziel aber noch keinen Namen trägt. So kann er abbiegen, wann er möchte, die Weichen ganz nach Belieben stellen. Auch sein eigenes Leben schwankt, er hat keine Verpflichtungen oder Zwänge und so ist das Rätsel um Gladys für ihn eine eigene Flucht und willkommene Abwechslung.
Kanada
„Gladys war kein Mensch, der den Tod in sich trug, sie war der Inbegriff von Willenskraft und Energie, eine Verfechterin des Lebens.“ (Seite 44)
Die 76-jährige Gladys hat mich mit ihrer geheimnisvollen Art beeindruckt, vor allem mit ihrer Lebenskraft, mit der sie vor allem viele Tiefen überwunden hat.
Es war schön, Kanada zu bereisen, ich bin gern in den Zug eingestiegen und habe mich durch viele tiefe und emotionale Stellen des Romans gelesen. Ich habe mir einige Zitate markiert, da Gladys viele wichtige Dinge sagte und doch hätte Autorin Jocelyne Saucier am Ende etwas knapper werden können. Doch vielleicht hat der Erzähler ihr das Schreibzepter aus der Hand genommen, um zu erzählen, was ihn umtreibt, obwohl wir Leser*innen bereits erfahren haben, was wir erfahren wollten – nämlich Gladys Geschichte. 😉
Oh, ich möchte vielleicht noch „Ein Leben mehr“ lesen. Gut, dass es Dir gefallen hat und danke übers berichten von dieser Trilogie.
Liebe Grüße,
Simone.