In unserer Zeit ist es nicht verwerflich, wenn öffentlich ausgesprochen wird, dass man ab und zu gern in Romane abtaucht, in denen es sexuelle Handlungen gibt, erotische Momente und sogar pornöse Auszüge. Wenn man das Cover von „Hingabe“ (S. Fischer) betrachtet, ist nicht gleich klar, was sich dahinter verbirgt. Auf jeden Fall habe ich mit viel Sinnlichkeit gerechnet, was den Titel betrifft. Der Blick der nackten Frau auf dem Cover ist eher resigniert, traurig und enttäuscht. Von brutalen Vergewaltigungsszenen ahnte ich anfangs noch nichts – ein Taumel zwischen Zuckerbrot und Peitsche…
Hingabe
Und ich gestehe, dass ich einfach nicht aufhören konnte zu lesen und obwohl der Roman sehr verstören ist, hat er mich auch in einer gewissen Weise fasziniert. Überwiegend war ich allerdings wütend und natürlich neugierig darauf, welches Ende die Beziehung zwischen dem kranken Großbauern Tomás und der jungen Schweizerin Suiza nehmen würde. Zudem habe ich am Ende festgestellt, das der aus dem Französischen von Eva Scharenberg übersetzte Roman den Originaltitel „Suiza“ trägt. Wesentlich passender als „Hingabe“, aber natürlich nicht so verlockend…
Hebamme und Autorin Bénédicte Belpois entführt uns nach Spanien, genauer in ein Dorf in der Nähe von Lugo, in dem die Männer das Sagen haben und ein rauer Umgangston herrscht. Tomás entfaltet sich gleich auf den ersten Seiten als ziemlich unsympathischer, alleinstehender Mann, der nie fähig war zu lieben und an Lungenkrebs erkrankt ist. Er steckt seine tägliche Energie in seinen Hof, kümmert sich nur um die Rinder und Felder, während sein Haus verdreckt. Er widmet sich lieber der Masturbation oder einem guten Tropfen Rioja bei regelmäßigen Besuchen in der Dorfkneipe. Dort trifft er auf Suiza, das Mädchen aus der Schweiz, so heißt es, und ist sofort von ihrer Erscheinung gefangen. Seine Fantasien entgleisen ihm und kurzerhand überkommt ihn ein schmerzhaftes Verlangen.
Suiza möchte ans Meer
Suiza, eine junge Frau, die im Heim aufgewachsen und geistig zurückgeblieben ist, möchte ans Meer. Sie flüchtet und strandet im Norden Spaniens. Schon auf ihrer Flucht wird sie von LKW-Fahrern vergewaltigt, allerdings wehrt sie sich nie. Sie lässt ihr Leben auf vielen Ebenen einfach geschehen, sie gibt sich hin und übt mit ihrem Verhalten einen Sog auf Männer aus. Ihr eigener Duft, ihr blondes Haar und ihr weiches Wesen lösen vor allem in Tomás den Wunsch aus, sie zu besitzen wie einen Gegenstand. Und er zögert nicht lange und entführt Suiza bei seinem nächsten Kneipenbesuch, um sie im Feld zu vergewaltigen, mit nach Hause zu nehmen und erneut ins Bett zu ziehen.
Am nächsten Morgen will Suiza nicht flüchten, sie bleibt bei Tomás, der bereits wieder bei seinen Tieren und Feldern ist und beginnt, sich der Hausarbeit zu widmen. Sie nimmt seinen starken sexuellen Drang hin, wehrt sich nicht und ist auch körperlich bereit, ihn aufzunehmen. Suiza ist froh, bei ihm zu sein, auf seinem Hof und mit ihr zieht die Sauberkeit ins Haus. Auch im Dorf und natürlich bei seinem Helfer und Freund Ramón und Ziehmutter Augustina spricht sich schnell rum, dass bei Tomás eine Frau eingezogen ist, die kein Wort Spanisch sprechen kann und scheinbar aus der Schweiz kommt. Und im Dorf wird bekannt, dass Tomás kränker ist, als er vorgibt, der Krebs beginnt ihn aufzufressen.
Harter Stoff von einer Frau
Harter Stoff aus der Feder einer Frau, wirklich harter Stoff und trotzdem war ich nicht fähig, mich von Suiza zu lösen. Ich konnte sie nicht alleine lassen, ich musste wissen, was passiert, ob sie tatsächlich in ihrem Leben glücklich werden konnte. So sehr ich anfangs Tomás auch hasste, musste ich mir eingestehen, dass dieser Hass und der Ekel nachließen. Er wurde mir keinesfalls sympathisch, aber sein Verhalten wurde weicher, es keimte ein ganz zartes Pflänzchen in ihm auf. Das Wort Liebe ist zu groß, aber er wurde herzlicher, vor allem durch die Hilfe und Ratschläge von außen. Tomás begann sich Suiza anders zu nähern, er begann sie zu liebkosen, zu verwöhnen und zu beschenken. Spielerisch versuchte er ihr die Sprache näher zu bringen und als Dank und aus freien Stücken beschenkte sie ihn mit ihrem Körper, sie verführte ihn immer wieder neu. Das Missbrauchsverhältnis wandelte sich nicht, aber es drehte sich, bis es endet…
Erschreckend gut!
Ich traue mich kaum zu sagen, dass es kein schlechtes Buch ist, obwohl es verstörend ist, sogar ekelhaft und brutal. Es ist nicht schlecht, weil es etwas in mir ausgelöst hat, einen Strudel, einen Sog, den ich kaum benennen kann. Autorin Bénédicte Belpois hat mich mit ihren Worten so vergiftet, dass ich ihnen nicht entkommen konnte. Sie hat mich in mein Inneres gezogen, mich polarisiert, Hass und Liebe vermischen lassen. Sie hat mich mit einigen Szenen geschockt, mir aber gleichzeitig versichert, dass ich viel geschockter und verstörter bin als ihre Protagonistin Suiza. Und damit hatte sie wahrscheinlich recht, mein Beschützerinstinkt war größer, als er hätte sein müssen?!
Und doch entwickelt sich zwischen allen möglichen Klischees keine bedingungslose Liebe, maximal eine gegenseitige, aber keinesfalls gleichberechtigte Rettung auf Zeit. In mir hat vor allem Suiza viele Spuren und viel Traurigkeit hinterlassen. Von ihr hätte ich gern noch mehr erfahren. Belpois Roman wird fast komplett aus der Sicht von Tomás erzählt und es ist grandios, wie sich eine Frau so fühlbar echt in einen Mann versetzen kann. Suiza kommt nur auf wenigen Seiten selbst zu Wort und ist schlauer, als zu Beginn angenommen.
Heftige, brutale Szenen, keine Hingabe und doch ein Roman der nicht kaltlässt. Bewegend, verstörend und doch durch Suizas andersartiges Verhalten und Tomás Lebensgeschichte und Krankheit lesenswert. Erschreckend gut!
Hallo Bini, wie bist du denn auf dieses Bild gekommen mit dem Buch zwischen den Knien? „Passt“ (?) irgendwie…
Vielleicht stimmt der Titel doch. Das fehlende Fragezeichen muss halt der Leser setzen.
Liebe Grüße
Uwe
Hallo Uwe, ja, es schien mir passend – etwas Haut und doch fraglich, wieso. Hast du das Buch gelesen? Und auch das Fragezeichen gesetzt? 🙂 Liebe Grüße, Bini