Und nein, ich schreibe nicht gern Verrisse. Aber dieser hier über den Roman Love Addict von Kate Davies musste einfach sein und ja, es tat verdammt gut, diese Worte rauszulassen. Aber lies selbst…
Die 26-jährige Londonerin Julia trauert ihrer Tanzkarriere nach, steckt in einem sterbenslangweiligen Bürojob fest und hat schlechten Sex mit Männern. Dann lernt sie Sam kennen und schläft zum ersten Mal mit einer Frau. Doch Sam ist nicht irgendeine Frau. Die Künstlerin bezeichnet Sex als ihr Hobby und hält nichts von Monogamie. Sie bringt Julia in Künstlerkreise, in Londons Sexclubs und ständig zum Orgasmus. Mit Sam scheint plötzlich alles möglich. Bye, bye, heteronormativer Bullshit! Doch Julia ist so überwältigt von ihrem neuen, aufregenden Leben, dass sie kaum merkt, wie ihre Liebe eine ungesunde Richtung nimmt. (Inhaltsangabe © Verlag S. Fischer)
Love Addict
Bis Seite 127 habe ich es geschafft, dann habe ich aufgehört und mit dem Gedanken gespielt, dass Buch im Regen auszusetzen und dabei zu filmen. Solche Gedanken hatte ich lange nicht, vielleicht sogar noch nie. Sagenhaft, dass es fast soweit gekommen wäre, dabei war meine Vorfreude unbändig und ich wollte dieses Buch so sehr abfeiern. Sagt man doch heute so. Bereits auf Seite 66 kam mein Lesefluss ins Stocken. Nicht weil gefühlt auf jeder Seite mindestens einmal das Wort Sex auftauchte. Nee, nee, damit habe ich kein Problem, wenn es die Geschichte spannend hält und passend verwendet wird. Auch nicht, weil die Protagonistin Julia zu Beginn keinen Sex hat. Und auch nicht, als sie lesbisch wird. Gut, warum dann?
Weil eben oben festgetackerte Inhaltsangabe so dermaßen genial klingt, im Buch selbst aber davon diese dynamisch frischen Handlungen nicht wiederzufinden sind. Okay, nicht ganz, denn es gab einmal Sex und der war grottig mit einem stinkenden Mann und obendrauf wundervoll ausgeschmückt. Und ja, Sam ist bis Seite 127 aufgetaucht und mit ihr hatte Julia auch Sex. Das Romangerüst steht, aber die emotionale Füllung und auch der angebliche Humor, der laut kritischen Stimmen darin zu finden sein soll, fehlt mir. Oder ich verstehe unter lustig einfach etwas ganz anderes. Julia allerdings verkauft sich von Seite zu Seite immer mehr unter Wert und tut mir leid, weil sie es auf Biegen und Brechen nicht merkt.
Sex?!
Schlimm nur, dass ich einfach nicht wahrhaben wollte, dass der Funken nicht zündet und von Seite zu Seite erhoffte, dass mich Kate Davies abholt und gefangen nimmt. Dabei wird der Inhalt immer gestelzter und liest sich wie stundenlang durchgekauter Kaugummi. Pfui! Ich wollte Emotionen und über außergewöhnlichen, extravaganten, emotionalen, andersartigen, aufregenden Sex lesen…
Brodelnde Enttäuschung
Love Addict (S. Fischer) sollte mir ganz außergewöhnliche Lesestunden bescheren und mir einen Perspektivwechsel bieten. Ich war sehr gespannt auf Julia, die sich mir als farbloser Charakter ohne Emotionen präsentierte. Und ich war natürlich darauf gespannt, wie sie mit ihrer aufblühenden Liebe zu Frauen umgeht und was ihr mit sich selbst und ihrem Umfeld passiert. Ja, ich war sehr neugierig und bekam weder aufblühende Liebe noch Spannung. Zudem wurden die Handlungen immer unrealistischer. Keine lesbische Frau in meinem Umfeld würde sich so verhalten wie Julia und keine würde sich wie Julia ausdrücken. Mein erster Gedanke: Ist der Roman einfach schlecht übersetzt oder konnten sich die Originalworte nur schwer übersetzen lassen?
In mir brodelte die Enttäuschung! Gleichzeitig wurde ich unsicher und fragte meine Follower:innen auf Instagram in den Storys, ob ich hier einfach was falsch verstehe. Selten bekam ich so viele zustimmende Nachrichten und die meisten konnten nicht verstehen, warum ich bis Seite 127 durchgehalten habe. Meine Hoffnung war wirklich groß, hier einen megamäßig starken Roman vorzufinden. Sogar Kapitelüberschriften wie „Die Schnecke ablecken“ konnte ich anfangs gekonnt ignorieren und tolerieren. Ja, rückblickend bin ich selbst über mich erstaunt.
Schnecke ablecken
Zum Abbruch führte in erster Linie die total aufgesetzte Handlung, vielmehr aber noch Protagonistin Julia, die ihre sexuelle Orientierung feiert wie ein neues Hobby. Wie einen Trend und nicht wie eine emotionale Veränderung, die sich vor allem auf sie selbst auswirkt. Julia steigert sich förmlich in ihre neue Rolle hinein und alles nur, weil sie erfolglos bei Männern ist. Schön wäre gewesen, wenn Kate Davies ihre Protagonistin entdecken lassen hätte, dass sie lesbisch ist. Nein, Kate Davies presst sie künstlich in eine Richtung, steckt sie von der einen in die andere Schublade. So fad, so plump, so öde und gekünstelt.
Die Antwort von Julias Mutter, als sie sich outete:
„Ich freue mich, dass du lesbisch bist, Julia. Ich wollte immer nur, dass aus dir ein interessanter Mensch wird. Und jetzt bist du einer.“ (Seite 109)
Humorlos?
Grottig! Ganz ehrlich, unpassender geht es nicht oder fehlt mir hier wirklich der Humor? Ein unrealistischer Dialog jagt den nächsten und ich kam mir beim Lesen regelrecht verarscht vor. Verarscht von den emotionslosen gestellten Handlungen und von den aufgesetzten Charaktere.
Und jetzt habe ich schon viel mehr geschrieben, als ich überhaupt wollte. Ich bin einfach nur entsetzt, da der Roman so viel Potenzial gehabt hätte. Meine Vorfreude ist geplatzt wie eine Seifenblase, meine Erwartungen haben sich in Luft aufgelöst und bin einfach entsetzt über diesen Klumpen von Buch, den ich lieben wollte. Das Cover lieb ich trotzdem.
Gut jetzt! Ich brauche erst mal viel Schokolade, einen Kaffee, viel und noch dringender ein gutes Buch!