VOX ~ Christina Dalcher

Nur noch 100 Wörter am Tag sprechen? Ganz ehrlich, schon vor dem Frühstück wäre mein Kontingent aufgebraucht und ich dürfte dann den restlichen Tag nichts mehr sagen, es sei denn, ich nehme immer stärker werdenden Stromschläge meines Wortzählers am Handgelenk in Kauf. Ich rede viel zu gern, viel zu viel und vielleicht auch zu viele unnütze Wörter – aber das macht mich aus und ohne Wörter wäre ich nicht mehr ich. Noch schlimmer wäre dann allerdings, wenn ich nicht mehr arbeiten gehen dürfte und nur noch Hausfrau sein müsste. Männer dürfen ihre Träume und Berufe leben – Frauen nicht (mehr)…

In der feministischen Dystopie namens „VOX“ von Christina Dalcher wird den Frauen die Stimme entzogen. Wir befinden uns in den USA und die neue Regierung möchte Frauen weniger Macht geben und deren Träume rauben. Sie nennen sich die Reinen und sind frauenfeindlich. Hautnah erleben wir diese Veränderung durch Protagonistin Jean McClellan. Für sie bricht mit dieser neuen Regelung eine Welt zusammen. Sie selbst ist Wissenschaftlerin, Mutter von vier Kindern und trotz der nachlassenden Liebe zu ihrem Mann Patrick, ist ihr Leben wundervoll. Ihr Herz springt, denn auch Tochter Sonia muss sich fügen und auf wenige Worte beschränken. Die Frauen müssen sich sofort anpassen und ihre neue Lebenssituation akzeptieren.

VOX

Als wäre diese Unterdrückung der Regierung nicht schon schlimm genug, beginnt auch ihr ältester Sohn Steven sie anders zu behandeln. Er lässt sich von der Regierung beeinflussen und verändert sich stark. Durch ihren Beruf bekommt Jean eine einmalige Chance die nach Freiheit, wenn auch nur begrenzt, schreit. Der Bruder des Präsidenten ist an einer Sprachstörung erkrankt und sie wird dazu bestimmt, ein Gegenmittel zu erforschen. Ein Ausweg? Die Rettung? Jeans Leben wendet sich erneut und zwischen allen negativen Entwicklungen, kann sie jetzt beruflich einen Erfolg erlangen, auf jeden Fall aber Zeit mit ihrem Forscherkollegen Lorenzo verbringen.

Sie bekommt ihre Stimme zurück und beginnt zu kämpfen…

VOX ~ Christina Dalcher

Heidewitzka, was hat VOX nur mit mir gemacht. Ich bin zerrissen und zerteilt, ich bin wahnsinnig schnell durch die Seiten gerast, um nach der Hälfte eine Vollbremsung einzulegen. Das muss ich selbst erstmal verdauen und versuchen plausibel zu erklären, ohne das Buch schlecht zu reden. Die Grundidee ist nämlich grandios grausam und spiegelt Verhaltensmuster aus unserer Vergangenheit, wie auch aus der Gegenwart wider. Gänsehaut pur.

Wir dürfen nur noch 100 Wörter sprechen. Schon diese Tatsache lässt unser Leserhirn arbeiten und zeigt uns, was mit uns passieren würde. Aus der Sicht von Hauptprotagonistin Jean lässt uns Autorin Christina Dalcher die knapp 400 Seiten erleben. Richtig schnell konnte ich mich mit ihr, ihrer Familie und auch der neuartigen Situation identifizieren. Es dauerte sich lange, da kochten meine Emotionen hoch. Gern hätte ich ihren Sohn Steven kräftig geschüttelt, ihre Tochter Sonia in den Arm genommen und mit ihrem Mann hätte ich gern über das Thema familiären Zusammenhalt und Unterstützung gesprochen. Die Zwillinge allerdings blieben immer neutral, unsichtbare Randfiguren.

#100Wörter

Christina Dalcher hat mich knappe 200 Seiten lang die Luft anhalten lassen. Ihre Charaktere haben sich weiter und weiter entwickelt, die Stimmung wurde drückender, ich konnte schlicht und ergreifende kaum pausieren. Lange habe ich zu keiner Dystopie mehr gegriffen und gespürt, wie erschreckend real das Szenario ist.

Dann kam der Bruch den ich bereits andeutete und der mich immer noch beschäftigt. Das Ende kam zu schnell und es ist schlicht und ergreifend zu einfach. Die Figuren verlieren nach der Hälfte ihren Charm und verfallen in Raster, die Grundgeschichte ist kaum noch vorhanden, die aufgebaute Stimmung verliert sich und – nein, ich möchte das Buch nicht ins negative Licht rücken, meine Enttäuschung nicht weiter ausschmücken.

Verliert eure Stimme nicht, lasst euch nicht unterdrücken – die Botschaft gilt es zu transportieren. #100Wörter

Eure
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