Miroloi ~ Karen Köhler

Mit Miroloi von Karen Köhler empfehle ich kein schönes Buch für den Strand, dafür ein Buch, das dich nicht mehr loslassen wird. Grandiose Literatur, die Spuren auf der Leseseele hinterlässt, über die gesprochen werden muss. Lesen wir nicht genau deswegen? Um neue Kratzer zu bekommen, um unsere Komfortzone zu verlassen, um lange von beeindruckenden Romanen zu sprechen?

Gerechte Worte für meine Begeisterung sind schwer zu finden, die miroloische Gefühlsmischung ist kaum einzuordnen.

„Eselshure. Schlitzi. Nachgeburt der Hölle. Ich war schon von Anfang an so hässlich, dass meine eigene Mutter mich lieber hier abgelegt hat, statt mich zu behalten.“ (Seite 9)

Eselshure

So beginnt Köhlers Miroloi, ein von Frauen gedichtetes und gesungenes Totenlied für einen Verstorbenen. Genau diese ersten Worte haben mich gefesselt, in mir gab es einen Ruck und ich fühlte mich für das 16-jährige Mädchen zuständig. Ich konnte nicht mehr wegsehen, es begann sich ein Knoten in mir zu bilden und dann raste ich durch die Seiten, ohne die Hand der Namenslosen loszulassen.

Karen Köhler bringt uns auf eine Insel, die von Rückschritt geprägt ist. Die Männer sind an der Macht, es gibt keinen Strom, die Khorabel ist das Werk, in dem alle patriarchalischen Gesetze geregelt sind. Frauen werden unterdrückt, Bildung und Sprache steht den Männern zu, dafür hat das Dorf einen Namen: Schönes Dorf.

Miroloi handelt von der Ausgrenzung, von Unterdrückung, von Machtmissbrauch und von einer jungen Frau, die für die Freiheit kämpft und sich gegen die Strukturen der Gesellschaft auflehnt.

Sprühende Ungerechtigkeit

Es ist der Takt der Wörter, es ist der Rhythmus der Sprache, der dieses Werk in den Vordergrund hebt. Es ist die sprühende Ungerechtigkeit, die ein Wegschauen nicht möglich macht. Die Wut lodert, der Hass sticht, die Hoffnung keimt, trotz der schrecklichen Begebenheiten. Viele Seiten bringen das Tränenfass zum Überlaufen, sie fordern eine Pause und treiben gleichzeitig an.

Miroloi ~ Karen Köhler

Karen Köhler mutet verdammt viel zu, baut begründet leere Seiten ein und versetzt die Schmerzpunkte. Sie zeigt uns, wie schnell wir grundlegende Dinge im Alltag als gegeben betrachten, führt uns in eine fremde Welt, die mit Naivität noch schwerer zu ertragen ist. Und ja, es gibt natürlich hoffnungsvolle Glücksmomente, die uns Kraft geben, aber von kurzer Dauer sind, da der Lebenssog auf der Insel so stark ist.

Ich fühle mich dazu berufen, den Roman eindringlich zu empfehlen, da ich selten zuvor so eine wichtige Protagonistin getroffen habe. Sie steht für so viel und hat mir mit ihrer Art Welten geöffnet.

Miroloi

Autorin Karen Köhler habe ich in Dresden beim Literatur JETZT! Festival treffen können, noch bevor ich ihren Roman „Miroloi“ (Hanser) begonnen hatte. Sie hat ihren Roman gerappt, sie hat jede Strophe ihres Miroloi durch und durch gerockt. So eine gelungene Buchpräsentation habe ich noch nie geboten bekommen.

Wer sich den Griff zu Miroloi trotz meiner eindringlichen Empfehlung nicht zutraut, greift bitte zu „Wir haben Raketen geangelt„. Ihre Kurzgeschichten kommen genauso nah wie das echte Leben. Sie ziehen und zerren und tun nicht nur weh. Tiefes Denken ist garantiert, freuen, weinen und erstarren ebenso.

Eure
literatwo_banner

6 Comments on Miroloi ~ Karen Köhler

  1. Liebe Bini,

    das war eine schöne Lesung in einer coolen Location in Dresden damals. Schön, dass wir zusammen da waren.
    Selber habe ich „Miroloi“ bisher noch nicht geschafft, aber ich möchte es bald in Angriff nehen und freue mich schon darauf bei den vielen postiven Kritiken, die ich schon dazu gelesen habe.

    Liebe Grüße,
    Simone.

    • Liebe Simone, danke dir, konnte ich dahin. Es war so, so, so toll und du kannst dich auf ein wahnsinnig gutes Buch freuen.
      Ich empfehle dir, es bald zu lesen.

      Hab noch ein schönes Wochenende. Bini

  2. Hallo,

    das lese ich gerade, ich habe eben das erste Drittel hinter mir gelassen. Bisher kann ich dir nur beipflichten, das ist ein Buch, das einen auf beste Art as der Komfortzone schubst. Das ist beim Lesen schmerzhaft, aber es ist Schmerz, der einen Sinn hat und nicht einfach effekthascherisch ist.

    LG,
    Mikka

    • Hallo Mikka,

      du hast es „gut“, du kannst noch etwas in Miroloi verweilen.
      Ja, dieser Schmerz hat einen Sinn – ja, ich bin gespannt, wie es dir abschließend gefällt
      Es wirkt sehr nach.

      Liebe Grüße – Bini

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert