„Der Sommer in dem die Zeit stehenblieb“ (FISCHER KJB) – schon der Titel von Tanya Stewners Werk schreit nach Sommer. Denken wir Sommerkinder nicht immer und immer wieder, wie schön es wohl wäre, wenn im Sommer einfach mal die Zeit stehenbleiben würde? Wäre das nicht traumhaft? Ganz lange an der See bleiben, abends mit Freunden draußen sitzen und grillen, traumhafte Sonnenuntergänge und Tage voller Schmetterlinge und Vogelgezwitscher. Ich würde gerne die Zeit anhalten und um stehen zu bleiben, habe ich mich in den Roman vertieft, aber nicht daheim, sondern an der sommerlichen Ostsee.
Gleich ab dem ersten Satz sympathisierte ich mit der Protagonistin Juli, denn denken wir nicht alle ab und an über uns „Ich finde mich ja manchmal selbst ein bisschen seltsam“ (Seite 7)? Schon, oder?
Juli zerdenkt sehr viel, findet sich nicht wirklich hübsch und ihrer besten Freundin Whoopi geht es ähnlich. Die beiden sind ein Zweiergespann, denn die anderen Mädels, die coolen der Klasse, wollen nicht wirklich etwas mit den beiden unternehmen. Juli wäre gern wie Whoopi – lieber ein gemütliches Zuhause, als Schnösel-Eltern mit viel Geld, schnellen Autos vor der Tür und einem großen Haus. Sie sehnt sich nach Zärtlichkeit, aber zwischen ihren Eltern herrscht Streit und in der Luft liegt der Geruch nach Scheidung. Für sie ist das Abendessen mit beiden Elternteilen einfach grausam und Whoopi schlägt ihr vor, einfach zu bellen, wenn ihr was nicht passt. Ihr habt richtig gelesen, Juli soll bellen und sie überwindet sich und bekommt genau durch ihr Bellen, ihr Anderssein, die gewünschte Aufmerksamkeit.
Und doch flüchtet sie, da sie es nicht aushält und merkwürdig angeschaut wird, aus dem Haus, auf ihre geheime Lieblingslichtung. Was Juli dort sieht, kann nur ein Tagtraum sein. Ein wunderschöner Junge steht vor ihr. Er spricht anders, er sieht einfach nur göttlich aus und ihn umgibt eine Art Geheimnishülle. Juli ist hin und weg und scheinbar nicht nur sie. Diese Begegnung wird Julis Leben verändern und nicht nur etwas, sondern ganz schön. Ihre Gedanken kreisen so heftig wie ein Karussell auf dem Jahrmarkt und um diesen Luft zu machen, muss sie Whoopi von ihrer Begegnung erzählen. Doch manchmal kann nicht einfach erzählt werden, manchmal können die Worte nicht raus, da sich immer und immer wieder Hindernisse vor diese stellen. Doch warum nur?
„Mitten ins Herz“ – Hat Tanya Stewner mich so getroffen, wie es auf der Rückseite des Romans steht? Ich werde es euch sagen, aber lasst mich erst einen kleinen Bogen holen. Seid ihr Klappentextleser? Ich lese diese meist selten, sondern lasse mich von Cover und Titel leiten und schau dann, was das jeweilige Werk mit mir macht. Mir wurde Stewners Roman mehrfach empfohlen und gerade das Wort Sommer im Titel, lies mich zugreifen. Ich wollte abtauchen in eine Geschichte, die Zeit anhalten und eine unbeschwerte Lesezeit verbringen. Die Autorin hat genau das geschafft. Mit einer mehr als herzerfrischenden Protagonistin und ihrer mindestens genauso liebenswerten Freundin, hat sie schnell mein Herz erobert. Zudem hat sie mich mehrfach überrascht, denn ich habe das Werk vom Optischen eigentlich ins Genre Jugendbuch-Mädchen eingeordnet. Locker luftige Strandlektüre mit Liebe und einem Schuss Romantik, frech, verträumt und durch und durch wunderbar. Doch ich sollte mich irren…
Denn dann drehte und wendete sich das Genre immer mehr. Es wurde leicht fantastisch, ein wenig spirituell, wenn man das so sagen kann und ich begann auf einer Zeitachse entlang zu balancieren und streckte meine Hand in Richtung Kosmos aus. Meine Fantasie öffnete sich wie eine aufblühende Blume, ich begann zu träumen und mit Juli mitzufiebern, ich ließ mich auf das schier Unmögliche ein.
Ihr müsst keine Angst haben, dass es zu fantastisch wird, auf keinen Fall. Tanja Stewner hat ebenso viel Romantik, wie auch Humor im Gepäck, aber auch jede Menge Tiefe und Hoffnung. Mein Lieblingszitat:
„Was bringt es, darüber nachzudenken, wann man sterben wird? Wir sterben alle irgendwann. Es kommt doch nur darauf an, dass wir bis dahin etwas aus unserem Leben machen. Dass wir jeden Tag nutzen, jeden Augenblick.“ …“Wenn man jeden Augenblick genießt und bewusst erlebt, dann ist es gleichgültig, ob man wenige oder viele Jahre hat, denn man hat aus jeder Sekunde das Beste gemacht. Und darauf kommt es an.“ (Seite 231)
Während des Lesens musste ich immer wieder an das Werk von Audrey Niffenegger denken. „Die Frau des Zeitreisenden„ spukte in meinem Kopf und wer das Werk kennt, wird Stewners Jugendbuch genauso lieben und lesen müssen.
„Der Sommer in dem die Zeit stehenblieb“ ist für mich die kleine Schwester vom Zeitreisenden und wer den Zeitreisenden liebt, wird es erleben wollen, wenn im Sommer die Zeit stehen bleibt. Da bin ich mir sehr sicher und noch sicherer bin ich mir, dass ihr anschließend wisst, wie man Gedankenabenteuer verschenkt oder zumindest geschenkt bekommt…
Eure